Als der Gockel das Zeitliche segnete

Oder: Wenn die Bankenwelt ins Gerede kommt – Satire von Elisa

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Der Gockel ist tot! Der Gockel ist tot!

In Windeseile breitete sich die Schreckensnachricht im Stall aus und stürzte die Hühnerwelt in unbeschreibliches Chaos. Trauernde Hennen, erschreckte Küken flatterten und piepsten herum, die Federn flogen, eine Menge Eier zerplatzten. Der Gockel ist tot, gackerte es unaufhörlich durch die Luft. «Was flennt ihr denn so?» fragte das Pferd. «Es war doch zu erwarten. Er wollte immer mehr und mehr, hetzte von Hühnerstall zu Hühnerstall, ging der Nachbarschaft auf die Nerven mit seinem ewigen Gekrähe, brachte die ganze Hennen-Gemeinschaft durcheinander.» «Außerdem», meldete sich die Ziege, «durfte sich niemand in seiner Nähe aufhalten, er fand, er sei der Größte, obwohl er fast nichts tat außer herum zu stolzieren.» «Das ist nicht wahr», ereiferten sich die Hühner. «Pünktlich um fünf hat er uns jeden Morgen geweckt. Und schaut doch nur den großen Nachwuchs an, den er hinterlassen hat.» «Seid nicht so bescheiden», mischte sich das Lamm mit sanfter Stimme ein, «wer hat denn die traumatischen Geburtswehen ertragen, wer die kleinen Küken gehegt, wer die unerfahrenen Hühnchen zum Eierlegen ermuntert?»

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Der Hofhund hatte bisher geschwiegen. Jetzt erhob auch er seine Stimme: «Man sagt, dass er nicht nur im Nachbarhof ein- und ausging. Nein, er krähte ebenfalls in dessen Nachbarhof, und im nächsten und übernächsten, und was weiss ich wo sonst noch. Es ist nicht klar, wo überall er auftauchte und mitmischte. Zur Freude der zahlreichen Hühner, das ist schon klar.»

Als die Kuh am Abend von der Weide kam, hatte sie weitere bedenkliche Nachrichten, welche die Hoftiere erneut aufscheuchten. «Denkt euch nur», berichtete sie, «im Nachbarhof haben sich zwei junge Hähne um die Nachfolge gestritten. Es war ein erbitterter Kampf. Die Kämme schwollen, die Federn wirbelten, die Funken sprühten. Doch niemand erwartete, was dann geschah: Es brannte plötzlich. Es sieht ganz so aus, als sei der Nachbarhof samt und sonders verbrannt. Jedenfalls steht der große Hühnerstall nicht mehr, habe ich mir sagen lassen. Das wird Auswirkungen haben, glaubt mir nur, und zwar auf sämtliche Bauernhöfe in der Nachbarschaft, wenn nicht gar auf jene im ganzen Land!»  

In dieser Nacht wuchs die Nervosität im heimatlichen Hof des toten Gockels ins Unermessliche. Von überall her ertönten Hilferufe. Da beschlossen Bauer und Bäuerin, gut ein Drittel ihres Vermögens zu verschenken. Sie sammelten alle frischen Eier in der großen Halle ein, sowie viele Küken und einen Großteil der jungen Hühner, ja, sogar den Eier-Vorrat aus der eigenen Küche packte die Bäuerin dazu. Bei Nacht und Nebel beluden sie zwei riesige Lastwagen und brachten die wertvolle Fracht zum Nachbarhof. Dort nahm man sie zähneknirschend entgegen und versprach, den eigenen Hühnern weniger Futter zu geben, um sie zu erhöhter Eiproduktion zu animieren.

Und während im ganzen Land der Ruf laut wurde, man sollte die Hähne von den Bauernhöfen verbannen, erscholl aus den Ruinen des halb verbrannten Bauernhofes der triumphale Ruf: «Der Hahn ist tot, es lebe der neue Hahn!»

Foto Elisa: Es blüht auf dem Bauernhof

Mit klarem (nicht verklärtem) Blick, Eure Elisa
29.03.2023