Die Lunchtasche

Kürzlich, an einem sonnigen Tag, wimmelte es in unserer Stadt von kleinen und grossen Schulausflüglern mit deren Lehrkräften. Alle waren sie gespannt, quirlig, fröhlich, aufgeregt.

Foto von Freundin Elisabeth Stucki

Unwillkürlich flatterten durch meine Gedanken Erinnerungen an meinen ersten Schulausflug. Ich war damals in der ersten Klasse, ein scheues, empfindsames Kind. Meine Mama kaufte mir extra ein ausgesprochen hübsches, hellgelbes Sommerkleidchen, das ich am Ausflugsmorgen voller Stolz zum ersten Mal anzog. Mama hatte mir ein einfaches Picknick und eine Thermosflasche mit Tee vorbereitet. Alles war fein säuberlich in einer Lunchtasche aus Canvas-Stoff verpackt.

Foto Fruugo

Wie weit wir gingen, weiss ich nicht mehr. Doch sehe ich uns eine ausgedehnte Mittagsrast machen, in einem dichten Wald, auf Moospolstern und Baumstümpfen sitzend, mampfend, schwatzend. Nach dem Essen entdeckte ich in der Nähe Heidelbeerstauden, an denen eine Unmenge reifer Beeren hingen. Ich wunderte mich, dass keines meiner Klassenkamerädchen sich dafür interessierte. Genüsslich tat ich mich am süssen Nachtisch gütlich. Dann kam mir Mama in den Sinn. Sie hätte bestimmt ebenso viel Freude an dem herrlichen Segen wie ich. Rasch holte ich den leeren Thermosbecher, füllte ihn bis zum Rand mit den reifen Früchten und verstaute ihn in meiner Lunchtasche.

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Voller Freude nahm ich bei meiner Heimkehr die Lunchtasche von meiner Schulter, um Mama den «Schatz» zu übergeben. Im nächsten Moment verwandelte sich meine Freude in Entsetzen. Der Becher war auf dem Rückweg in der Lunchtasche umgekippt und nun lagen darin die vielen Beeren völlig zerquetscht. Schlimmer noch: am zitronengelben Kleidchen prangte im Umkreis meiner rechten Hüfte ein grosser, tiefblauer Fleck. Er sollte nie mehr ausgehen, das Kleidchen war für immer ruiniert.  

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Ich weinte bitterlich. Nicht, dass meine liebe Mama geschimpft hätte. Doch in aller Deutlichkeit erkannte ich zum ersten Mal die traurige Wahrheit: Wenn man jemandem eine Freude machen will, heisst das noch lange nicht, dass es auch gelingt. Unverständlicherweise, fatalerweise, kann sich die gute Absicht sogar ins genaue Gegenteil verkehren…

Der gute Wille allein genügt eben selten.

Foto Elisa: im Park Ettenbühl, Deutschland

Geniesst jetzt die feinen Sommerbeeren! Eure Elisa
22.06.2022

Reichtum

Bei weisen Erzählungen wird mir ganz warm ums Herz – umso besser, wenn sie darüber hinaus mit Humor gewürzt sind. Geht es Euch auch so? Was meint Ihr zu dieser rabbinischen Geschichte?

Bei einem festlichen Bankett sitzen ein Rabbiner und ein katholischer Prieser nebeneinander. Bei der grossen Schlacht am kalten Buffet verweigert der Rabbi die Speisen mit Schweinefleisch. Der Priester rühmt seine Freiheit und isst mit Genuss davon. Dabei meint er zum Rabbiner: «Religiöse Vorschriften, die ihren Sinn verloren haben, muss man fallen lassen. Schauen Sie diesen herrlichen Schinken an, welch eine Gabe Gottes! Wann endlich werden Sie ihn kosten?» Der Jude lächelt: «Auf Ihrer Hochzeit, Hochwürden, werde ich ihn probieren!»

Aus: «Voller Witz und Weisheit» von Axel Kühner

Havah Nagilah (hebräisch הבה נגילה) ist ein hebräisches Volkslied, das traditionell bei jüdischen Feiern gesungen wird. Navah Nagilah bedeutet so viel wie: Lasst uns glücklich sein.

Foto von Freundin Heidi Wildi: Seerose

Oder gefällt Euch diese weise Geschichte aus der Türkei besser?

Hodja ruderte einen berühmten Philosophen über einen See. Der Mann fragte ihn, ob er etwas von Philosophie verstünde. Hodja: «Nein, dafür habe ich nie Zeit gehabt.»

Darauf der Philosoph: «Ach, das tut mir leid für Sie. Da fehlt Ihnen ja Ihr halbes Leben.»

Nach einer Weile fragt Hodja den Philosophen: «Können Sie schwimmen?» Der Philosoph: «Nein, dafür hatte ich nie Zeit.»

Hodja: «Dann wird Ihnen bald Ihr ganzes Leben fehlen. Der Kahn hat ein Loch. Wir sinken.»

Aus: Türkische Sammlung von Hodja-Geschichten, Marlene Fritsch, «Weisheit kommt nicht von allein, das Herz muss ihr Begleiter sein.» Nasreddin Hodja war ein bekannter, weiser Türke, der im 13. Jahrhundert gelebt hat.

Der türkische Sänger heisst Tarkan und wurde in den 90er Jahren mit «Kiss Kiss» berühmt.

Geniesst die Musik! Sie verbreitet Freude und Wohlbefinden. Ausserdem haben Neurologen in wissenschaftlichen Studien bestätigt gefunden, dass Musik frühgeborenen Babies bei ihrer Entwicklung hilft, sowie Verunfallten bei der medizinischen Rehabilitation. Auch auf Demente haben Musik und Tanz eine sichtbar gute Wirkung. Es wird wieder gelächelt, und Erinnerungen kommen zurück. Ist Musik nicht etwas Wunderbares für uns alle?

Liebe Grüsse, Elisa
21.09.2021

Die Verwandlung

Photo: Freundin Heidi Wildi

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.
(Hermann Hesse)

Foto von Patentochter Sandra Romano
Foto Heidi Wildi

Liebt Ihr Schmetterlinge? Mich entzücken diese überaus zarten Insekten mit ihren kunstvollen Mustern und intensiven Farben, die uns so anmutig umflattern! Sie erinnern an Freiheit und Kreativität, an Leichtigkeit, Neubeginn und Freude. Sie leben nur für den Moment, tanzen durch den Sommer, flügeln von Blume zu Blume, wie wenn es nichts Schöneres gäbe.

Foto Heidi Wildi

In der Antike wurde der Schmetterling, nach langer äusserer Ruhe und durch das Verpuppen und Schlüpfen aus dem anscheinend leblosen Kokon, zum Sinnbild für Wiedergeburt, Auferstehung ja gar Unsterblichkeit. In der griechischen und römischen Mythologie erscheint die Seele oft mit Schmetterlingsflügeln. Vom Tod erlöst, kann sie sich von ihrer Hülle entfernen und frei in die Höhe erheben.

Selbst in christlichen Ländern wie der Schweiz stehen Puppe und Schmetterling für die Auferstehung. Und so findet man ihn auf zahlreichen Grabsteinen oder als Grabschmuck. Vielleicht habt Ihr diesen Gedanken in Todesanzeigen auch schon gelesen? «Es ist das Ende, sagte die Raupe. Es ist erst der Anfang, sagte der Schmetterling.»

Foto Heidi Wildi

Das Erstaunlichste ist tatsächlich die Morphose, die Schmetterlinge während ihres Lebens erfahren. Die Veränderung ihrer Gestalt ist gewiss ungewöhnlich: Aus den Eiern werden Raupen, die nicht fliegen können, sich aber durch Formveränderung fortbewegen und viel, viel fressen, damit sie rasch wachsen. Dabei häuten sie sich mehrfach, um grösser zu werden. Ist das Raupenstadium abgeschlossen, werden sie unter Bildung einer festeren Hülle zur Puppe. Äusserlich scheinen sie monatelang in einem Ruhezustand, doch innerhalb der Puppe pulst Leben, sie verändern sich enorm. Sie bilden Flügel aus und wandeln sich zum sogenannten Falter.

Foto Heidi Wildi: Die „dicke Banane“

Die Falter nehmen durch den Saugrüssel Nahrung auf. Sind sie gesättigt, rollen sie ihn zu einer kleinen Spirale auf. Zwei Dinge habe ich mit ihnen gemeinsam: meinen Übernamen «Sommervögeli» und die Vorliebe für Süsses.

Foto Heidi Wildi

«Leben ist nicht genug, sagte der Schmetterling. Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben.» (Hans Christian Andersen)

Wart Ihr schon einmal in einem Papiliorama? In unserem Nachbarkanton Freiburg ist das ein ausgedehnter Tropengarten, der besonders für die Haltung von Schmetterlingen berühmt ist. Gleichzeitig gibt es auch eine Vielzahl von nachtaktiven Tieren und farbigen Vögeln zu entdecken. In der tropischen Landschaft, die schon beim Eintreten wohlige Erinnerungen bei mir wachruft, bilden Orchideen, Fächerpalmen, Feigenbäume, Muskatnüsse – kurz, etwa 120 Pflanzenarten – eine wunderbare Einheit mit der Fauna.

Foto Heidi Wildi

Kürzlich besuchte ich das Papiliorama mit Freundin Heidi. Kaum hatten wir den schwül-warmen Ort betreten, machte mein Herz einen Freudensprung. Es wimmelte von Schmetterlingen, die uns umgaukelten. Gemäss der Broschüre waren es über 1000! Die einen flogen hoch hinaus, andere flatterten knapp über unsere Köpfe oder setzten sich auf nahe Pflanzen; wieder andere naschten an den Futterschalen auf unserer Augenhöhe, ohne sich stören zu lassen. Es war ein farbenfrohes, tief entspannendes Schauspiel, die bunt-schimmernden Wesen erschienen mir wie fröhliche Boten aus einer anderen Welt. Freundin Heidi, eine passionierte Natur- und Tierfreundin, war begeistert, dass sich so viele bestens fotografieren liessen. Die Fotos in diesem Beitrag stammen von ihr.

Foto Heidi Wildi

Völlig unerwartet setzte sich ein grosser Schmetterling auf meine Schulter. Die leuchtend blaue Farbe war mir bereits beim Betreten der Halle an den besonders hoch fliegenden Exemplaren aufgefallen. Ich erlebte wahrhaftig «ein blaues Wunder»! Darob geriet ich ganz aus dem Häuschen. Heidi reagierte rasch mit der Kamera. Auch fremde Leute wollten ein Foto. Ich ging vorsichtig weiter, und der blaue Morphofalter begleitete mich eine ganze Weile.

Foto Heidi Wildi: Blauer Morphofalter
oder Himmelsfalter aus der Familie der Edelfalter

«Das Glück ist ein Schmetterling. Jage ihn, und er entflieht dir. Halte still, und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.» (Unbekannt)

Foto Heidi Wildi

Wie freuten wir uns, als Heidi ebenfalls beglückt wurde – von einem wunderbar gezeichneten, braunen Schmetterling! Doch nur einen Moment lang. Denn ein Mann «stahl» ihn kurzerhand von ihrer Schulter, um ihn auf dem Arm seines kleinen Jungen zu platzieren – ohne Bitte um Erlaubnis, ohne Erklärung – und weg war er. Wie ein dreister Raubvogel! Wir schauten verblüfft wie diese Schildkröte…

Foto Heidi Wildi
Foto Heidi Wildi

Ich wünsche Euch viel Freude an Schmetterlingen und, auch im Alltag, zahlreiche Glücksmomente, die Euch immer wieder zufliegen.

Elisa
28.07.2021

Foto Heidi Wildi

Lebensfragen

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Soeben erreicht mich die Nachricht, dass eine liebe Freundin gestorben ist. Auch sie…

Dem abgedroschenen Spruch «Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben», können wir im Alltag wenig abgewinnen, er dringt nicht wirklich in unser Bewusstsein ein. «Wenn, dann trifft es die andern, mich bestimmt nicht», beruhigen wir uns, falls sich die Redensart zwischenhinein doch einmal in unsere Gedanken schleicht. So vergehen die Jahre. Ach – und dann werden wir auf einmal brutal und direkt durch das Sterben eines geliebten Menschen mit der Wirklichkeit konfrontiert.

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Ich frage mich, ob es denn verkraftbar wäre, wenn wir Menschen unsere Todesstunde kennen würden. Was meint Ihr? Wäre das nicht belastend, auch für unsere Nächsten? Würden wir darob verzweifeln, uns bis zum Letzten sträuben? Wahrscheinlich ist es gut so, wie es ist. Hingegen finde ich es klug, wenn wir das Leben auskosten – nicht nur im Hinblick darauf, dass es endlich ist… sondern weil es uns trotz Kummer und Schmerz ebenso viel Freude und Glück schenkt. Am Leben zu sein, zu spüren, wie Gottes Atem durch unseren Körper strömt, ist Grund zu Ehrfurcht und Dankbarkeit. Hier auf Erden können wir das Geheimnis des Lebens nicht entschlüsseln. Der Trost, dass wir nicht tiefer fallen können als in die göttliche Hand, muss uns genügen.

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Freitagnachmittag, 22. Mai 2020: Mit einer guten Freundin und Arbeitskollegin machte mein Sohn Bernie eine Arbeitspause. Sie diskutierten ernsthaft über das Leben und über Krankheiten. Beide hatten vor mehreren Jahren, und viel zu früh, einen schweren Herzinfarkt erlitten und lebten im Wissen, dass sie die Herz-Medikamente regelmässig einnehmen müssten, aber sonst nicht viel machen könnten, als auf ihr Glück zu vertrauen. Noch bevor die Arbeitspause um war, waren sie sich einig, dass sie zwei richtige Glückspilze seien, weil sie auf wunderbare Weise überlebt hätten.

Doch schon am nächsten Morgen in der Früh blieb Bernies Herz stehen. Diesmal kam jede Hilfe zu spät. Nicht nur für uns war es ein riesiger Schock – der Tod kam wohl auch für Bernie völlig unerwartet, aber er kam schmerzlos, gnädig – wie es sich für einen richtigen Glückspilz gehört. Ruhe in Frieden, unser liebster Sohn!

Trauer //Mascha Kaléko, 1907 – 1975
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tode derer, die mir nahe sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiss es wohl, dem Gleiches widerfuhr;
und die es trugen, mögen mir vergeben.

Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur
doch mit dem Tod der andern muss man leben.

Elisabeth, 24.6.2020