Die Verwandlung

Photo: Freundin Heidi Wildi

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.
(Hermann Hesse)

Foto von Patentochter Sandra Romano
Foto Heidi Wildi

Liebt Ihr Schmetterlinge? Mich entzücken diese überaus zarten Insekten mit ihren kunstvollen Mustern und intensiven Farben, die uns so anmutig umflattern! Sie erinnern an Freiheit und Kreativität, an Leichtigkeit, Neubeginn und Freude. Sie leben nur für den Moment, tanzen durch den Sommer, flügeln von Blume zu Blume, wie wenn es nichts Schöneres gäbe.

Foto Heidi Wildi

In der Antike wurde der Schmetterling, nach langer äusserer Ruhe und durch das Verpuppen und Schlüpfen aus dem anscheinend leblosen Kokon, zum Sinnbild für Wiedergeburt, Auferstehung ja gar Unsterblichkeit. In der griechischen und römischen Mythologie erscheint die Seele oft mit Schmetterlingsflügeln. Vom Tod erlöst, kann sie sich von ihrer Hülle entfernen und frei in die Höhe erheben.

Selbst in christlichen Ländern wie der Schweiz stehen Puppe und Schmetterling für die Auferstehung. Und so findet man ihn auf zahlreichen Grabsteinen oder als Grabschmuck. Vielleicht habt Ihr diesen Gedanken in Todesanzeigen auch schon gelesen? «Es ist das Ende, sagte die Raupe. Es ist erst der Anfang, sagte der Schmetterling.»

Foto Heidi Wildi

Das Erstaunlichste ist tatsächlich die Morphose, die Schmetterlinge während ihres Lebens erfahren. Die Veränderung ihrer Gestalt ist gewiss ungewöhnlich: Aus den Eiern werden Raupen, die nicht fliegen können, sich aber durch Formveränderung fortbewegen und viel, viel fressen, damit sie rasch wachsen. Dabei häuten sie sich mehrfach, um grösser zu werden. Ist das Raupenstadium abgeschlossen, werden sie unter Bildung einer festeren Hülle zur Puppe. Äusserlich scheinen sie monatelang in einem Ruhezustand, doch innerhalb der Puppe pulst Leben, sie verändern sich enorm. Sie bilden Flügel aus und wandeln sich zum sogenannten Falter.

Foto Heidi Wildi: Die „dicke Banane“

Die Falter nehmen durch den Saugrüssel Nahrung auf. Sind sie gesättigt, rollen sie ihn zu einer kleinen Spirale auf. Zwei Dinge habe ich mit ihnen gemeinsam: meinen Übernamen «Sommervögeli» und die Vorliebe für Süsses.

Foto Heidi Wildi

«Leben ist nicht genug, sagte der Schmetterling. Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben.» (Hans Christian Andersen)

Wart Ihr schon einmal in einem Papiliorama? In unserem Nachbarkanton Freiburg ist das ein ausgedehnter Tropengarten, der besonders für die Haltung von Schmetterlingen berühmt ist. Gleichzeitig gibt es auch eine Vielzahl von nachtaktiven Tieren und farbigen Vögeln zu entdecken. In der tropischen Landschaft, die schon beim Eintreten wohlige Erinnerungen bei mir wachruft, bilden Orchideen, Fächerpalmen, Feigenbäume, Muskatnüsse – kurz, etwa 120 Pflanzenarten – eine wunderbare Einheit mit der Fauna.

Foto Heidi Wildi

Kürzlich besuchte ich das Papiliorama mit Freundin Heidi. Kaum hatten wir den schwül-warmen Ort betreten, machte mein Herz einen Freudensprung. Es wimmelte von Schmetterlingen, die uns umgaukelten. Gemäss der Broschüre waren es über 1000! Die einen flogen hoch hinaus, andere flatterten knapp über unsere Köpfe oder setzten sich auf nahe Pflanzen; wieder andere naschten an den Futterschalen auf unserer Augenhöhe, ohne sich stören zu lassen. Es war ein farbenfrohes, tief entspannendes Schauspiel, die bunt-schimmernden Wesen erschienen mir wie fröhliche Boten aus einer anderen Welt. Freundin Heidi, eine passionierte Natur- und Tierfreundin, war begeistert, dass sich so viele bestens fotografieren liessen. Die Fotos in diesem Beitrag stammen von ihr.

Foto Heidi Wildi

Völlig unerwartet setzte sich ein grosser Schmetterling auf meine Schulter. Die leuchtend blaue Farbe war mir bereits beim Betreten der Halle an den besonders hoch fliegenden Exemplaren aufgefallen. Ich erlebte wahrhaftig «ein blaues Wunder»! Darob geriet ich ganz aus dem Häuschen. Heidi reagierte rasch mit der Kamera. Auch fremde Leute wollten ein Foto. Ich ging vorsichtig weiter, und der blaue Morphofalter begleitete mich eine ganze Weile.

Foto Heidi Wildi: Blauer Morphofalter
oder Himmelsfalter aus der Familie der Edelfalter

«Das Glück ist ein Schmetterling. Jage ihn, und er entflieht dir. Halte still, und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.» (Unbekannt)

Foto Heidi Wildi

Wie freuten wir uns, als Heidi ebenfalls beglückt wurde – von einem wunderbar gezeichneten, braunen Schmetterling! Doch nur einen Moment lang. Denn ein Mann «stahl» ihn kurzerhand von ihrer Schulter, um ihn auf dem Arm seines kleinen Jungen zu platzieren – ohne Bitte um Erlaubnis, ohne Erklärung – und weg war er. Wie ein dreister Raubvogel! Wir schauten verblüfft wie diese Schildkröte…

Foto Heidi Wildi
Foto Heidi Wildi

Ich wünsche Euch viel Freude an Schmetterlingen und, auch im Alltag, zahlreiche Glücksmomente, die Euch immer wieder zufliegen.

Elisa
28.07.2021

Foto Heidi Wildi

Flieg, Vogel, flieg!

Photo by Flickr on Pexels.com

Mein Sohn konnte mit grösstem Vergnügen Unmengen von Essen vertilgen. Kürzlich wurde ich auf der Strasse unvermittelt an ihn erinnert. Schon von weitem gewahrte ich einen winzigen Spatzen, der ganz versunken war in den Genuss eines anscheinend delikaten Fundes. Ich ging vorsichtig näher und blieb zwei Schritte vor ihm auf dem Trottoir stehen. Er bemerkte mich gar nicht, pickte eifrig weiter. Jetzt sah ich, was es war, das ihn derart beschäftigte: ein für ihn viel zu grosses weisses Brötchen, das jemandem wahrscheinlich zu Boden gefallen war. Dann entdeckte ich, dass es nicht das Brötchen selbst war, das er sich so hastig einverleibte, sondern dessen Füllung aus – Kräuterfrischkäse! Da hatte ein kleiner Überlebenskünstler einen mächtigen Wolfshunger! Jedenfalls war er kein Veganer…

Ich liebe die frechen Spatzen. Ob sie deshalb überall überleben, weil sie sich selbst wichtig genug nehmen, um nach ihrer wahren Natur zu leben?

Foto Grand Palace Hotel in Riga (Lettland): Der Jugendstil-Speisesaal, eine Art Lichthof

Nicht so der gefangene Vogel, von dem ich Euch erzählen will: In unserem Ferienhotel in Riga befand sich, im opulenten Jugendstil-Speisesaal etwas versteckt, ein grosser Vogelkäfig. Der grüne Papagei darin hiess Micha. Er war sanft und stets ruhig. Bevor DER MANN und ich nach dem Frühstück ins Zimmer zurückkehrten, blieb ich immer bei Micha stehen und redete leise mit ihm. Auf die Zuwendung reagierte er mit ebenso leisen, zärtlichen Lauten. Nur, wenn nachts zuvor im gleichen, gleissend hellen Speisesaal eine stundenlange Sitzung mit vielen Personen stattgefunden hatte, schien er am Morgen völlig übermüdet und öffnete mit schrägem Köpfchen nur eins seiner Augen. Einmal beobachteten wir, wie die Serviceangestellte den Käfig öffnete. Sie scheuchte den Vogel hinaus, ermutigte ihn zum Fliegen. Das sei gut für ihn, erklärte sie uns. Ja natürlich! Gehorsam flog Micha ein, zwei Runden durch den leeren Speisesaal. Es war jedoch ein zaghafter, niedriger Flug, der schon nach kurzer Zeit freiwillig wieder auf dem Käfig endete. Micha wollte partout nicht mehr fliegen! Die spärlich bemessene Freiheit flösste ihm wohl eher Furcht und Schrecken ein. Er fühlte sich offensichtlich nur im Käfig sicher.

Foto Grand Palace Hotel: Der Speisesaal bei Nacht

Als ich vor 40 Jahren glaubte, in einer unglücklichen Ehe ausharren zu müssen, klagte ich einem Psychologen: «Ich fühle mich wie ein Tier in einem Käfig.» Trocken antwortete dieser: «Du bist kein Tier, Du kannst den Käfig jederzeit selbst öffnen.» Das tat ich denn auch, mit viel Gewinn.

Foto Grand Palace Hotel: Das ist der sanfte Micha

Ich vermute, dass nicht nur Micha in einem Käfig sitzt. Es ist natürlich möglich, dass gewisse Käfige auch Menschen Geborgenheit vermitteln können. Bitte versteht mich recht: Ich rede nicht von schmerzlichen, krankheitsbedingten Einschränkungen. Mir geht es um Käfige, die wir uns selbst basteln – Käfige aus Sorgen, aus Angst, aus Schuldgefühlen…, ja, auch goldene Käfige. Sind die nötig? Wie denkt Ihr darüber?

Vergessen wir nie: Wir können einen uns einengenden Käfig zu unserem Wohl sprengen! Ist das leicht? Ich finde nicht. Schon Shakespeare wusste: „Wir ertragen lieber die uns altbekannte Hölle, als den Flug in unbekannte Höhen zu wagen.“ Ja, es ist eine Anstrengung und – zumindest für mich – eine immer wiederkehrende. Es braucht Mut. Doch dafür werden wir belohnt: Die Freiheit lehrt uns, wie wir wieder richtig fliegen!!

Photo by Frank Cone on Pexels.com
Foto Leonardo: Unsere gemütliche Hotel-Bar in Riga

Für mich persönlich ist Gottvertrauen hilfreich – und auch, dass ich der Lebensfreude genügend Platz einräume. Womit wir wieder zum Anfang des Beitrags zurückkehren und damit zu meinem Sohn Bernie, der ein Geniesser und Lebenskünstler war. Und der das „Fliegen“ liebte!

Foto Fabienne Griessen: Bernie mit Freund Jan Griessen, Freut Euch des Lebens!

23. Juni 2021
Herzlichst, Eure Elisa

Winterliche Eskapade

Photo by David Dibert on Pexels.com

Es war Januar und bitterkalt an diesem Samstagmittag. Überall lag Schnee, die strahlende Sonne verwandelte ihn in ein glitzerndes Märchen. Fröhlich machten wir uns auf, um der Aare entlang zu spazieren. Das entpuppte sich als ein etwas mühsames Unterfangen: Fast der ganze Weg dem Fluss entlang war mit Eis bedeckt und glatt, so dass wir mehr Zeit brauchten als vorgesehen. Wir waren froh, als wir im Flugplatz-Restaurant an die Wärme kamen. Doch es hatte kaum Platz, also fragten wir ein Paar, ob wir uns zu ihnen setzen dürften.

Kaum hatten wir die bestellten heissen Getränke bekommen, begann die Frau am Tisch mit uns zu plaudern. Ein paar Minuten später fragte sie, ob wir gerne gratis mit ihnen nach Beromünster fliegen würden. DER MANN und ich schauten einander fragend an. Etwas wie Übermut regte sich in uns. Spontan nickten wir. «Dann müssen Sie aber rasch austrinken», mahnte die Frau. «Es ist wird heute früh dunkel.»

Auf dem Flugfeld führten sie uns zu einem kleinen Hochdecker mit nur 4 Plätzen. Wir sassen hinten, die beiden vorne, der Mann am Steuerknüppel, und schon ging’s los. Der gut 100km lange Flug unter wolkenlosem Winterhimmel war herrlich. Keine Flügel behinderten die Sicht auf die verschneiten Emmentaler Hügel, auf schneebedeckte Felder, Wälder und Dörfer, über die unser kleines Flugzeug in nicht allzu grosser Höhe hinweg glitt. Bald verwandelte das Abendlicht die Welt in Gold und Rosa, während die Sonne langsam am Horizont versank.

Photo by Krivec Ales on Pexels.com

Als wir Beromünster erreichten, begann es zu dämmern. Neben einem kleinen Bach führten zwei Räderspuren durch den Schnee einer beängstigend schmalen Graspiste. Im vor uns liegenden Flughafen brannte kein einziges Licht. Ein Tower mit Fluglotsen war ebenfalls nicht auszumachen. Ob das wohl gut ausging? Inzwischen wussten wir nämlich, dass die Frau Fluglehrerin war und der Pilot ihr Schüler, der heute anspruchsvolle Landungen üben sollte. Jetzt verstand ich auch, warum er vor dem Abflug erwähnt hatte, seine Frau bleibe lieber zu Hause, sie fürchte sich im Flugzeug. Wir waren dem Boden recht nahe, als die Fluglehrerin in scharfem Ton rief: «So nicht! Nochmals durchstarten!!» Der Pilot gehorchte sofort und zog das Flugzeug steil in die Höhe. Nach längerem Kreisen und einem erneuten Versuch wurde es uns dann doch ein wenig mulmig zumute. Wie geübt war der Flugschüler eigentlich? War dies etwa gar sein erster Flug in der Dämmerung – mit Landung auf einer schmalen Graspiste? Unsere Fragen kamen etwas spät…  

Am Ende landeten wir, holprig und rumpelnd zwar, aber ansonsten gesund und munter. Wir rollten auf den kleinen, inzwischen dunklen Flugplatz. Nachdem wir ausgestiegen waren, forderte uns die Fluglehrerin auf, ihnen zu helfen, das Flugzeug in den Hangar zu schieben und dort einzustellen. Es war unerwartet schwer und drohte ständig zu kippen. Ob sie uns zu diesem Zweck mitgenommen hatten?

Durch die frühe Nacht fuhr uns die Frau mit dem Auto ins nächste Dorf und ins einzige Restaurant. Sie hatte es eilig, der Feierabend wartete. Deshalb liess sie sich nur auf einen Kaffee einladen. Beim Wirt erkundigten wir uns dann nach Zugsverbindungen. Es überrascht wohl niemanden, dass der Weg zurück viel aufwändiger war als das Herfliegen! Erst nach 23 Uhr langten wir zu Hause an. Am nächsten Tag holten wir unser an der Aare parkiertes Auto ab, teils mit dem öffentlichen Verkehr, teils zu Fuss, in sicherem Abstand vom Flughafen. Von den beiden Piloten haben wir nie wieder etwas gehört, nicht einmal das Erinnerungsfoto ist bei uns eingetroffen. Bereut haben DER MANN und ich unsere kleine Eskapade jedoch nie. Noch manches Mal haben wir deswegen geschmunzelt.

Sagt, Ihr Lieben, tut es nicht gut, «mit leichtem Sinn» dem gleichförmigen Alltag hin und wieder ein Schnippchen zu schlagen?  

Elisabeth, 15.1.2020