In liebevollem Gedenken an meinen unvergleichlichen Sohn
Foto von Fabienne Griessen
Immer mal wieder huscht ein Lächeln durch unsere Erzählungen – ein Lächeln über seine lustigen Einfälle, sein ansteckendes Lachen und seine vibrierende Lebenskraft.
Was einen Menschen auszeichnet? Dass nach seinem Tod Menschen einen Verlust empfinden. (Wolfgang J. Reus, 1959-2006)
Wieder haben wir einen lieben Freund verloren, einen meiner ältesten Freunde aus den Tagen, als ich eine ganz junge Ehefrau und Mutter war. Er war ein feiner, lebensbejahender Mann, der spürte, wenn Menschen um ihn herum Hilfe brauchten, und er sprang gerne in die Bresche, ohne je Aufhebens davon zu machen. Älter geworden, musste er in den letzten Jahren wiederholt um sein Leben kämpfen. Er liess es sich trotz grosser Schmerzen nicht nehmen, meinem Sohn im Frühjahr 2020 das letzte Geleit zu geben.
Foto: engadin.ch
Vor einer Woche haben DER MANN und ich uns mit seiner lieben Familie von ihm verabschiedet, in der Kirche meines früheren Wohnorts. Wie mein Sohn, starb auch er an plötzlichem Herzversagen. Sekundenschnell hauchte er sein Leben in den Armen seines Bruders aus. Er starb auf einer Parkbank, inmitten der prächtigen Bergwelt des Engadins, in der klaren, sonnendurchfluteten, gesunden Luft seiner Heimat.
Foto: engadin.ch
Behutsam, fast zärtlich, hat der Tod sein Leben ausgelöscht, und damit all seine Beschwerden hinweggetragen. Darf man traurig sein über einen Tod, der sanft erlöst? Natürlich grämen wir uns, wenn wir das Liebste verlieren, es bricht uns fast das Herz. Doch den Tod für uns selbst brauchen wir nicht zu fürchten. Gottes Gnade erwartet uns. Sollte man nicht eher weinen über das Leben, das wir alle mit Tränen beginnen, als ahnten wir bereits, dass es uns nicht nur Freuden, sondern ebenso viele Schmerzen auferlegen wird?
Foto Elisa
Mir ist aufgefallen, dass mir ein Mensch nach seinem Tod auf eine besondere Weise nahe ist. Die Erinnerungen sind stark, sie kommen ganz von selbst, es sind Erinnerungen, die ich vergessen glaubte, sie wandern vorwärts und zurück, mäandern hin bis ganz zum Beginn, sei es bis zur Geburt, sei es bis zum Anfang einer Beziehung. Sie stehen intensiv, leuchtend und überwältigend lebendig vor meinem Innern. Ist es ein Abschied aus dem Jenseits, ist es die Endgültigkeit, die Trauer, oder sind es meine eigenen Gefühle, welche die Fülle an Erinnerungen hervorzaubern? Wie auch immer, diese Erfahrung hat etwas Tröstliches, Besänftigendes für mich.
Morgen kommt und Abend wieder. Kommen immer, immer wieder. Aber niemals wieder du. (Hermann Hesse)
Sohn Bernie in Top-Form
Noch nie habe ich jemanden so vermisst wie meinen Sohn, der heute vor 2 Jahren an Herzversagen starb. Mein lebensfroher Bernie wurde nur 52 Jahre alt. Ihm widme ich diesen Beitrag mit zwei von mir selbst verfassten Gedichten.
Liebe ist… Sterne im Finstern Tau in der Wüste Hütte im Regen Insel im Meer Blume im Eis Nest im Baum Ein Platz an der Sonne: Vertrauen – Heimat – Leben
Herzeleid ist der Preis, den wir für die Liebe bezahlen. (E. A. Bucchianeri)
Trauer ist… Schwarz, kalt, einsam Seelenpein Tonloses Schreien Tränenmeer ohne Ufer Rastlose Träume im Schatten der Nacht In Erinnerungen leben Sich täglich Mut zusprechen: «Denn sie sollen getröstet werden»
Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln. (Dalai Lama)
Bernie zu Besuch in Südfrankreich bei Barbie, Christof und Anouk
Es war schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte.
Nun ist die Wohnung meines Sohnes beinahe geräumt. Dem Leben und Sterben eines über alles geliebten Menschen so nah zu sein, ihm anhand von Alltäglichkeiten und Erinnerungsstücken während Tagen immer wieder aufs Neue intensiv zu begegnen, kostete mich eine schier übermenschliche Anstrengung. Es war aufwühlend, erschütterte mich als Mutter bis ins Innerste. Auch gleicht solches einem Eindringen in das ganz persönliche, intime Leben eines anderen, das man normalerweise auch unter Nächsten respektiert.
Die Begegnungen weckten natürlich nicht nur Trauer. Ein weiterer Schritt im Loslassen konnte gewagt werden, frohe Erinnerungen wurden wach. Die praktisch ausgestattete Küche mit den vielen Gewürzen und den Kochbüchern, die halb abgebrannten Kerzen und Kerzenständer im Wohnzimmer, die betörenden Duftlämpchen, die eindrückliche Musiksammlung, der elektronische Sternenhimmel im Schlafzimmer, die Klimaanlage, die zahlreichen eleganten Kleider und Schuhe, die von seinem Schönheitssinn erzählten, die Bücher, die von seinem starken Willen zu beruflicher Vervollkommnung und persönlicher Reifung zeugten – all dies ist Ausdruck davon, dass sich aus dem einst empfindsamen Kind ein feiner, tüchtiger Mann entwickelt hatte, der mitten im Leben stand. Immer wieder aufs Neue vermochte er mich zu Lebzeiten zu überraschen und zu bezaubern. Jetzt ist da nur noch die fast abstrakte und doch so kostbare Erinnerung… Gut, kann ich auf DEN MANN und seine Fürsorge zählen. Wiewohl «lediglich» Stiefvater, leidet er ebenfalls und versteht mich.
Tröstend klingen die Abdankungsworte des Pfarrers in mir nach: «Ein Mensch, der morgens noch voll Leben ist, kann schon vor Abend unbeachtet sterben. Wenn Gott die Seile seines Zeltes löst, dann muss er fort. Er weiss nicht, wie’s geschieht.» (Hiob 4,21) Erklärend fügte er bei: «Gott löst die Seile, wenn es Zeit ist. Gott und nicht der blinde Zufall oder ein tragisches Schicksal. Und weil Gott selbst die Seile löst, dürfen wir wissen: Mit dem Sterben gehen wir nicht verloren. Nein, Gott löst die Seile, weil die Reise weitergeht, weil er mit uns eine Zukunft vorhat, die über das Zeitliche hinausgeht (Zitat: Pfr. Markus Niederhäuser,Bern).
Diese Worte lassen Verstehen in mir aufkeimen. Bitterkeit ist keine in mir – nur ein grenzenloser Schmerz, der jetzt zu mir gehört – bis auch meine Seile von Gott gelöst werden.