Die Welt ist voller Galgenvögel, ob mit Flügeln oder ohne. Als Frau, man weiss es leider, muss man sich bei letzteren vorsehen – und seien sie noch so attraktiv.
Einmal, als ich in Teneriffa in den Ferien war, passierte es mir, dass mir einer nachpfiff – jedes Mal, wenn ich die kleine Pension verliess. Laut gellte der unverkennbar bewundernde Pfiff durch das kleine Bergdorf, das schweigend unter der Mittagshitze lag. Ich schaute mich um, konnte den Urheber aber nirgends entdecken. Es war zwar lästig, aber gleichzeitig schmeichelte mir die aufdringliche Anerkennung ein bisschen. Hatte ich mit über fünfzig noch Chancen bei einem heissblütigen Südländer? Nein! Denn nach ein paar Tagen entdeckte ich verblüfft, dass mein Verehrer ein – feuerroter Papagei war! Er hockte auf dem nahen Balkon in einem Käfig und langweilte sich vermutlich!
Liebe Blog-Freunde, Sommerzeit – Ferienzeit. Ich gönne mir eine kleine persönliche „Saure-Gurken-Zeit“ und „rezykliere“ ein paar meiner Kurztexte, die schon einmal veröffentlicht wurden. Sorry für jene, die sie bereits kennen…
Ein kleines Mädchen, das mit seinem Vater im Warenhaus zum ersten Mal auf Rolltreppen fuhr, fragte diesen erstaunt: „Wohin gehen denn all diese Treppenstufen? Ist jetzt der Keller voller Treppen?“
Dazu fällt mir ein, dass in Bern der „Loeb“ als erstes Warenhaus Rolltreppen einführte. (Der „Loeb“ war sozusagen schon damals als Kaufhaus die „Berner Institution“.) Das war 1956. Ungewöhnlich ist, dass „Loeb“ für ängstliche Kunden Kurse anbot, damit sie das sichere und korrekte Benützen der neuartigen Treppen erlernen konnten. Wie muss man sich das denn vorstellen? Vielleicht etwa so: „Legen Sie Ihre Hand auf den schwarzen Handlauf, schauen Sie gleichzeitig auf Ihre Füsse. Nun wagen Sie mit grosser Vorsicht, aber trotzdem entschlossen den ersten Schritt. Und auf geht’s! Hui! Gut gemacht!“ Oder: „Halt! Halt! Halt! Hoppla! Haaalt!! Um Gottes Willen! Rolltreppe sofort, ich wiederhole sofort, abstellen!!!“
Die erste Rolltreppe der Welt ging bereits am 16. Januar 1893 in New York in Betrieb. Auweia! Damals bewegten sich die Damen doch in knöchellangen, gebauschten Röcken. Wie sie wohl auf den Rolltreppen zurecht kamen? Und erst noch ohne den Loeb-Kurs?
Eine aussergewöhnliche, sehr lange Rolltreppe befindet sich seit 1993 in Hong Kong. Sie wurde im Freien gebaut, ist 800 (!) Meter lang, teilweise überdacht und steigt über 135 Meter an. Wenn die still steht, ist man ziemlich aufgeschmissen, mit oder ohne langen Rock!
Früher musste man sich ein paar Monate in einem anglikanischen Sprachgebiet aufhalten oder zumindest zum Sprachunterricht gehen, um Englisch zu lernen. Game over, ladies and gentlemen! All you need ist ein Blick in die Social Media oder einen walk to the city – und wow!, schon wird einem die englische Sprache um die Ohren gehauen, dass man nachher unbedingt eine location braucht, um zu chillen und zu relaxen.
Foto: Pinterest
Mein hairstylist und make-up-artist, dessen shop «Cuts and More» heisst, beherrscht nicht nur das cutting. Er ist brilliant at his job. Doch meistens redet er über peanuts.
Kürzlich war er auf einem trip in der Türkei. Er hat es leider nicht geliked. Zwar hat man ihm schon am airport ein up-gradeoffered, und die flight attendants der Swiss waren besonders charming. Still water oder orange juice sind nicht sein favourite – whiskysoda schon eher, und den bekam er free. Das all-inclusive package und das 4-star-hotel waren weniger sein taste. Vielleicht hätte er besser einen flight nach Sri Lanka gebucht. Das wäre bestimmt okay gewesen: keine unhappy singles, keine surfing teenies und gaming kids mit ihren nannies wie an der Turkish beach. Und erst der dining place mit seinem food waste! Der reinste horror, so alarming! Die haben wohl noch nie etwas von climate change gehört, dabei sei die heat wave im Süden besonders shocking. Das sei einfach too much, schlechtes image, schlechtes timing. Aber eben: No risk no fun! Er sage sich jedoch immer: stay woke! Denn peace habe mit money und power zu tun – mit nichts anderem.
Da findet er es hier in der downtown a lot better! Die shopping mile sei exciting mit all den smarten fashion shops, den summer sales signs und den pop-up outdoor coffee bars. Denn da gebe es bagelsplus American muffins, English chocolatecookies and fingerfood – yummy! Im bookshop „Angel“ im shop-in-shop round the corner bekomme er immer einen discount, und die food bar next door sei super cool. Die girls dort gäben ihm jedes Mal einen coffee to go for free. Sie fänden ihn eben einen nice guy. Das sei good for the business. Der veggie burger, obwohl made with chilli, sei allerdings zu wenig hot und der cheese burger trocken. Im worst case könne er per e-bike in ein shopping center racen und in einem supermarket fürs weekend und seine party guests shoppen. Bits and bites seien nicht unbedingt trendy, aber party folks mögen fast food und spicy drinks.
Oh dear! Sein small talk interessiert mich not really. Main thing, er kennt die latest styles und macht aus mir eine pretty lady. Cool, wenn ich bei der nächsten video conference wieder sexy aussehe. Das home-office ist soboring, ich ziehe team-work vor. Alone findet man selten good solutions.
Kiss, Greti
Hope you enjoyed this, Elisa 4.8.2022
PS: Zwei Übersetzer auf einem Schiff unterhalten sich. „Kannst du schwimmen?“, fragt der eine. „Nö“, antwortet der andere, „aber ich kann in neun Sprachen um Hilfe rufen.“
Ich danke Euch vielmals für Eure spannenden Kommentare zu meinem letzten Beitrag «Eigenartig». Freundin Doris Dätwyler hat mir zudem die folgenden Informationen zugeschickt:
Das Gehirn in Zahlen: Die Gesamtlänge aller Nervenbahnen im Hirn beträgt 5,8 Millionen Kilometer, was 145 Erdumrundungen entspricht.
Es besteht aus bis zu 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die mit über 1 Trillion Synapsen (Kontaktstellen zwischen Zellen) miteinander verbunden sind.
Es gibt fast 10’000 Arten von Nervenzellen im Hirn.
Manche Impulse jagen mit bis zu 400 Stundenkilometern durchs Nervensystem.
Das Hirn besteht zu 80 % aus Wasser.
Es macht nur 2 % der gesamten Körpermasse aus, verbraucht aber 20 % des Sauerstoffs und 25 % der Glukose.
Unser Oberstübchen verarbeitet jährlich rund 300’000 Petabyte (1 Petabyte = 1 Million Gigabyte) an Informationen.
Foto Elisa
Wahrscheinlich sind Euch diese Informationen längst begegnet. Doch dünkt mich, wir dürfen sie uns gerne wieder einmal in Erinnerung rufen. Denn, ohne dass wir es konkret wahrnehmen, leistet unser Gehirn im Hintergrund laufend Gewaltiges, das wir uns nicht einmal vorstellen können.
Da der Mensch seit jeher ahnt, dass das Gehirn das faszinierendste und wichtigste Organ unseres Körpers ist, interessiert er sich brennend dafür. Doch bis jetzt ist es trotz intensivster Forschung nicht gelungen, alle Bereiche zu entschlüsseln, zu komplex ist diese wundersame «Kommandozentrale» unseres Körpers.
Freundin Doris ist mit mir einig: Die hinter solcher Komplexität stehende Schöpferkraft will und soll Mysterium bleiben, und mit ihr das Geheimnisvolle, das unser Leben umhüllt wie ein zarter Schleier. Gottseidank sind wir nicht allwissend. Einen zweiten Turmbau zu Babel wollen wir uns nicht antun!
Photo by Stijn Dijkstra on Pexels.com: Marschallinseln
Wisst Ihr, was das Wort «Iroojlaplap» bedeutet? Nein? Es heisst «Oberster Häuptling» und ist auf den Marschallinseln beheimatet (siehe Bilder). Die Marschallinseln, ein Staat mit rund 60’000 Einwohnern, sind eine Inselgruppe, die zu Mikronesien gehört. Habt Ihr vor, den Ausdruck «Iroojlaplap» auswendig zu lernen? Ich auch nicht!
Foto Berner Zeitung vom 22. Juli 22: Hier ist er, der «Iroojlaplap», der es bestens versteht, farbenfrohe Zeremonien mit moderner Demokratie in Einklang zu bringen. Foto Pinterest: Marschallinseln
Jetzt fragt Ihr Euch bestimmt, was diese Information denn soll, sie bringt ja nichts oder zumindest nicht viel. Natürlich gibt es noch mehr unnützes Wissen. Als Beispiel will ich Euch heute von einer kleinen Begebenheit erzählen.
Während meines Praktikums in Paris waren wir eine internationale Gruppe von Sekretärinnen, die anspruchsvolle Übersetzungen in mehrere Sprachen zu erledigen hatten. Wenn wir nicht weiterkamen, riefen wir den Mitarbeiter aus Armenien. Der grosse schlanke Mann war ein brillanter Kopf. Es gab nichts, was er nicht wusste. Sechs Sprachen beherrschte er in Wort und Schrift. Zweifellos hätte er die Fähigkeiten für eine leitende Stellung gehabt – doch ein äusserst merkwürdiger Tick, dem Anschein nach psychischen Ursprungs, hinderte ihn am Vorwärtskommen.
Da stand dieser Mann mit verlegenem Gesicht vor meinem Pult, knetete ein weisses Stoff-Taschentuch in seinen Händen zu einem kleinen Klüngel zusammen. Dann stopfte er es in Mund und Nase, bis es kaum mehr zu sehen war. Hierauf ertönte seine inzwischen ganz nasale Stimme wie aus dem Abseits. Jedes Mal schaute ich ihm mit einer Mischung aus Faszination, Verwunderung, Abscheu, aber auch Mitgefühl zu. Was hatte er Schlimmes erleben müssen, dass ihm dieser Zwang das Leben dergestalt beschwerte?
Nie mehr habe ich vergessen, wie er mir stolz erzählte, seine Grossmutter habe einmal mit dem russischen Zaren getanzt. (Ich nehme an, es war Nikolas II.) Noch heute erscheint bei der Erwähnung von Russland vor meinem inneren Auge sofort der Zar, der die mit ihm tanzende Grossmutter von Herrn Kh. im Arm hält!
Was Monsieur Kh. wohl macht? Vielleicht ist er gestorben, vielleicht quält er sich weiter in einem Pflegeheim? Eines ist gewiss: Der Zar und die armenische Grossmutter tanzen längst nicht mehr.
Merkwürdig, wie unser Gehirn funktioniert. Es ist in der Lage, schlimmste körperliche Qualen zu vergessen, zumindest als gefühlte Schmerzen an sich; es kann Erinnerungen vergolden, geliebte verstorbene Menschen für eine Weile wieder aufleben lassen, glückliche Stunden ein Leben lang bewahren. Im Gegensatz dazu, kommen natürlich auch seelische Verletzungen hartnäckig ins Hier und Jetzt zurück und schürfen sich immer wieder schmerzhaft auf. Soweit so menschlich.
Warum ums Himmels Willen aber speichert unser Hirn gleichzeitig völlig unbedeutende Ereignisse, befrachtet unsere Gedanken mit banalen Dingen – gerade auch per täglichen Social Media-Klatsch – während wichtige andere in völliges Vergessen gleiten? Ich halte es für möglich, dass uns an unfehlbar aufscheinenden, unnützen Erinnerungen irgendetwas berührt, gefesselt oder sonst wie angesprochen hat, um einen bleibenden Eindruck zu produzieren. Das mag von Mensch zu Mensch unterschiedlich und höchst persönlich sein.
Oder sind das plausible Fehlschaltungen, vielleicht nichts weiter als eine Laune der Natur?
Eigentlich schön, gibt es im menschlichen Dasein noch Geheimnisse.
„Wo man am meisten fühlt, weiß man am wenigsten zu sagen.“ (Annette von Droste-Hülshoff)
Kürzlich besuchten DER MANN und ich das historische Hotel Giessbach, das zwischen Bäumen und Felsen über dem Brienzersee thront. Die Lage könnte nicht schöner sein. Auf der einen Seite geht der Blick in die Tiefe zum türkisblauen Brienzersee, auf der anderen Seite rauscht ein gewaltiger Wasserfall über moosbewachsene Felsen in die Schlucht.
Foto photocommunity.ch: GiessbachfälleFoto pinterest: Hotel, See und Wasserfälle
Die Stiftung Giessbach wurde vom Landschafts- und Naturschützer Franz Weber 1983 gegründet. So gelang es ihm, das feudale Belle Epoque Hotel vor dem geplanten Abbruch zu retten. Es ist ein Juwel, ein wunderschönes Stück Heimat für das Schweizer Volk. Der Ort hat etwas Mystisches und übt auf Besucher einen besonderen Zauber aus. Für Feste, Hochzeiten, Konzerte oder gar Mondscheinbälle ist er ideal.
Foto Elisa: Giessbachfälle, momentan mit weniger WasserFoto: Fotocommunity.deFotos Seilbahninventar
Der Weg dahin führt per Schiff und am Schluss mit einer der ältesten Standseilbahnen zum hoch über dem See gelegenen Hotel. Wer gut zu Fuss ist, geht von Iseltwald aus den ungefähr 2 Stunden langen Wanderweg dem See entlang. Für ältere Besucher ist es am praktischsten von hinten her, über gewundene Bergstrassen und per Auto. Etwas entfernt vom Hotel liegt im Wald ein grosser Parkplatz.
Foto Elisa: Unterwegs zum GiessbachFoto Elisa: Das Hotel taucht auf
Unzählige Male genossen wir die Wanderung – heute finden wir sie zu anstrengend. Deshalb kamen wir per Auto. DER MANN ging zum Ticket-Automaten. Er kam etwa 10 Minuten nicht zurück, da der Automat nicht funktionierte, und ich wartete. Da bemerkte ich ein Stück unterhalb des Parkplatzes im Wald neben einem Picknick-Platz ein junges Paar, das nicht zu übersehen war. Sie, mit blonder Aufsteckfrisur, trug ein langes, schickes Brautkleid aus elfenbeinfarbener Seide, er, schwarzgelockt, einen eleganten schwarzen Anzug. Es war ein auffallend hübsches Paar. Doch was war das? Er trug ihren Schleier, wahrscheinlich mitsamt der Schleppe, in einem riesigen Knäuel auf seinen beiden ausgebreiteten Armen, wobei am rechten Arm zudem ein schwarzer Rucksack und eine weisse Tasche baumelten. Sie schienen auf etwas/jemanden zu warten und machten einen etwas nervösen Eindruck. Immer wieder gingen sie ein paar Schritte hin und her und schauten sich nach allen Seiten um. Warteten sie auf den Hotelbus, auf die Hochzeitsgesellschaft, auf ein Taxi? Da kam der Hotelbus, und ich atmete bereits auf für sie. Doch er fuhr an ihnen vorbei, und das Warten nahm kein Ende. Warum setzten sie sich nicht wenigstens hin? Ich vermutete, dass sich von den zwei Picknick-Grillofen schwarze Russpartikel auf die grob behauenen Bänke verteilt hatten. Das Kleid jedenfalls war makellos, und musste es natürlich bleiben.
Inzwischen war DER MANN wieder da. Ich machte ihn auf das Paar aufmerksam, und kurz darauf gingen wir auf dem Weg wenige Meter an ihnen vorbei. Als wir auf ihrer Höhe waren, rief DER MANN ihnen zu: «Viel Glück!» und ich doppelte nach: «Allem Anschein nach beginnt Ihre Ehe spannend!» Beide nickten heftig – und dann lachten sie.
Es ist viel wert, wenn man in einer Partnerschaft zusammensteht und geduldig auf ein Missgeschick zu reagieren vermag. Jedenfalls wird sich ihr Problem gelöst haben, denn drei Stunden später standen sie nicht mehr dort…
Foto Giessbachhotel: Einer der FestsäleFoto Elisa: Blick auf den Brienzersee
«Pfarrers Kinder, Müllers Vieh: geraten selten oder nie», heisst es in einem alten Spruch.
«Pfarrerskinder haben tatsächlich etwas Schräges», sagen sie beiden Autorinnen des religiösen Podcasts «Wir Pfarrers Töchter – Geheimnisse der Bibel». Und weiter: «Es gibt Untersuchungen darüber, unter welchen Lasten und mit welchen unglaublichen Ressourcen Kinder in Pfarrhäusern aufwachsen. Sie werden mit Musik gross, mit Ritualen, Geschichten, stehen aber auch unter öffentlicher Beobachtung.»
Und wie, kann ich da nur sagen! Denn von dieser Zwiespältigkeit will auch ich, zumindest aus der Warte der Enkelin, heute ein Liedlein singen. Denn sie war bezeichnend für den Geist im Haus meiner Grosseltern. Musik, Geschichten, Kreativität, Bücher, Bilder waren immer gegenwärtig. Doch daneben herrschte diese fast lebensfeindliche Enge. Klar, es ging damals in der Gesellschaft insgesamt um einiges strenger zu und her als heute.
Foto von Patentochter Sandra Romano
Trotz dieses Glaubens-Korsetts wich nur der älteste Sohn vom geraden Weg ab (immerhin einer von vier!), und er blieb sein Leben lang eine Art «verlorener Sohn», dessen Nachlass die verheiratete Geliebte für sich behändigte, bevor nach seinem Tod auch nur der Sohn die Wohnung betreten hatte. Die anderen drei, die ebenfalls im christlichen Elternhaus gross wurden, kamen im Grossen und Ganzen gut und erfolgreich durchs Leben, unter ihnen meine geliebte Mama.
Grossmutter erzog ihre vier Kinder äusserst strenggläubig. Die häufigsten Worte, die sie ihnen einbläute, waren: „Das ziemt sich nicht! So spricht man nicht! Was denken auch die Leute?“ Früh schon lernten sie das ungeschriebene Gesetz: Man hat stets und überall auf sein Aussehen, sein Benehmen, seine Sprache zu achten, denn die ganze Welt richtet ihre Augen ständig auf eben diese Pfarrfamilie – wehe, wenn sie nicht tadellos dasteht: „Was denken auch die Leute!!“ Wenn ich bei diesen Erinnerungen an den Ausspruch von Luther denke: «Aus einem traurigen Arsch kommt kein fröhlicher Furz», muss ich laut lachen. Kannten meine Grosseltern die Sprüche des frommen Mannes nicht? Wenn, dann schämten sie sich bestimmt für ihn!
Foto Elisa: Kathedrale in Tiflis, Georgien
Zwar versuchte die Großmutter hin und wieder, aus der Enge auszubrechen, indem sie ihren kleinen Töchtern entzückende Sommerkleidchen schneiderte oder ihnen ein einfaches Schmuckstück umhängte. Aber die Schelte eines Einzigen, die Kleinen seien hoffärtig, genügte, um ihre zaghafte Rebellion niederzudrücken.
Ach, die Bibel mit ihren widerspruchsvollen Aussagen bietet sich geradezu an, von Schlaumeiern zweckentfremdet zu werden! Denn Eiferer finden darin immer irgendwo eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage, mit der sie ihre ganz persönliche Meinung als ‚Gottes Gebot’ kundtun und dadurch Gegenargumente im Keim ersticken.
Natürlich gab es im christlichen Haushalt auch Erheiterndes. Großvater war beliebt, aber kein brillanter Redner. Seit jeher verkniffen sich seine Angehörigen an den Sonntagsgottesdiensten ein Lachen, wenn er sich verhaspelte oder ein misslungenes Wortspiel zum Besten gab.
Eine Rückschau beschert mir noch heute heitere Momente. Es war Tradition, dass Großmama, selbst noch mit ihren erwachsenen Töchtern, in der vordersten Bankreihe Platz nahm. Wenn ich, die ich mit Papa und meiner älteren Schwester in der Reihe dahinter saß, sah, wie die Bank vor uns und die Rücken des christlichen Trios leicht zu beben begannen, dann wusste ich schon als Kind sofort, dass sie wieder einmal kicherten, wie z.B. an jenem Ernte-Dank-Fest, als Großpapa Albert Schweitzer und sein Urwaldspital in ‚Lambretta’ erwähnte. Lambretta! Der billige Motorroller war in den fünfziger Jahren vor allem bei der Jugend sehr beliebt und hatte beileibe nichts zu tun mit Lambarene. Dieser Versprecher war noch harmlos, es gab schlimmere: einmal sprach Großpapa statt vom inbrünstigen vom ‚brünstigen Gebet’. Da prustete selbst Großmama laut los, gleichzeitig mit ihren Töchtern, was dem allzu fröhlichen ‚Kleeblatt’ nachher einen strengen Verweis des Kirchenältesten eintrug.
Ich liebte meine Großeltern heiß. Oft war ich bei ihnen zu Besuch, denn ich war die verwöhnte Enkelin. Als ich noch klein war, badete mich Großmama auf ihrem sonnigen Balkon in einer ovalen Wanne. Später, wenn ich erst nachmittags kommen konnte, stellte sie Kartoffelpuffer im Ofenrohr für mich warm, die mir besser schmeckten als alles, was bei uns zu Hause auf den Tisch kam. Und erst ihr Streuselkuchen, den sie auf der samtenen, weinroten Tischdecke servierte! Großmama kam aus Deutschland, aus der Pfalz. Ihr Gemüt war von Melancholie durchzogen, daher war sie eher still. Sie hatte kreative Fähigkeiten, konnte wunderbar Geschichten erzählen. Großpapa war ein kontaktfreudiger Mann aus dem Zürichbiet, der gerne fröhliche Menschen um sich scharte, überall half und vielen Menschen ein Vorbild war.
Foto von Freundin Sissy Brändle
Meiner Mutter Wunsch, Musik zu studieren, überforderte meine Großeltern leider völlig, und sie lehnten rundweg ab. Trotzdem behielt Mama ihren tiefen Glauben, doch entwickelte sie mehr Offenheit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Im Alter wurden auch die beiden aufrechten, wackeren Kämpfer milder in Bezug auf ihre Glaubenseinschränkungen.
In meinen Augen bedeutet der Glaube keine erstickende Enge. Wir haben, Gottseidank, einen gütigen und grosszügigen Gott.
Kürzlich, an einem sonnigen Tag, wimmelte es in unserer Stadt von kleinen und grossen Schulausflüglern mit deren Lehrkräften. Alle waren sie gespannt, quirlig, fröhlich, aufgeregt.
Foto von Freundin Elisabeth Stucki
Unwillkürlich flatterten durch meine Gedanken Erinnerungen an meinen ersten Schulausflug. Ich war damals in der ersten Klasse, ein scheues, empfindsames Kind. Meine Mama kaufte mir extra ein ausgesprochen hübsches, hellgelbes Sommerkleidchen, das ich am Ausflugsmorgen voller Stolz zum ersten Mal anzog. Mama hatte mir ein einfaches Picknick und eine Thermosflasche mit Tee vorbereitet. Alles war fein säuberlich in einer Lunchtasche aus Canvas-Stoff verpackt.
Foto Fruugo
Wie weit wir gingen, weiss ich nicht mehr. Doch sehe ich uns eine ausgedehnte Mittagsrast machen, in einem dichten Wald, auf Moospolstern und Baumstümpfen sitzend, mampfend, schwatzend. Nach dem Essen entdeckte ich in der Nähe Heidelbeerstauden, an denen eine Unmenge reifer Beeren hingen. Ich wunderte mich, dass keines meiner Klassenkamerädchen sich dafür interessierte. Genüsslich tat ich mich am süssen Nachtisch gütlich. Dann kam mir Mama in den Sinn. Sie hätte bestimmt ebenso viel Freude an dem herrlichen Segen wie ich. Rasch holte ich den leeren Thermosbecher, füllte ihn bis zum Rand mit den reifen Früchten und verstaute ihn in meiner Lunchtasche.
Voller Freude nahm ich bei meiner Heimkehr die Lunchtasche von meiner Schulter, um Mama den «Schatz» zu übergeben. Im nächsten Moment verwandelte sich meine Freude in Entsetzen. Der Becher war auf dem Rückweg in der Lunchtasche umgekippt und nun lagen darin die vielen Beeren völlig zerquetscht. Schlimmer noch: am zitronengelben Kleidchen prangte im Umkreis meiner rechten Hüfte ein grosser, tiefblauer Fleck. Er sollte nie mehr ausgehen, das Kleidchen war für immer ruiniert.
Ich weinte bitterlich. Nicht, dass meine liebe Mama geschimpft hätte. Doch in aller Deutlichkeit erkannte ich zum ersten Mal die traurige Wahrheit: Wenn man jemandem eine Freude machen will, heisst das noch lange nicht, dass es auch gelingt. Unverständlicherweise, fatalerweise, kann sich die gute Absicht sogar ins genaue Gegenteil verkehren…
Der gute Wille allein genügt eben selten.
Foto Elisa: im Park Ettenbühl, Deutschland
Geniesst jetzt die feinen Sommerbeeren! Eure Elisa 22.06.2022
Letzten Winter kaufte ich für das Grab meines Sohnes eine etwa 50 cm hohe Laterne. Im Geschäft wurde sie liebevoll geschmückt. Die weisse elektrische Kerze konnte man stets aufs Neue für ein paar Stunden anzünden – wenigstens solange die Batterie trocken blieb. Hübsch sah die Laterne aus mit dem schwarz-goldenen Rahmen und den seitlichen, schön geschliffenen Scheiben. Den ganzen Winter über machte sie uns Freude. Eigentlich hatte ich vor, sie im Frühling nach Hause zu tragen und für die nächste Wintersaison aufzubewahren. Doch dann bekamen DER MANN und ich in der Kirche eine große, bunte, dicke Osterkerze. Ich freute mich, als wir gegen Abend zum Grab gingen, wo ich das Türchen öffnete, die Kerze hineinstellte und anzündete. Sie brannte hell und freundlich.
Am nächsten Nachmittag spazierte ich mit meiner Patentochter, die auf Besuch war, wieder zum Grab. Ob wohl die Kerze noch brannte? Das allerdings nicht. Sie war samt und sonders heruntergebrannt – aber was war denn das? Da lagen nur noch zersprengte Glassplitter und eine geköpfte, verbogene Laterne auf dem Grab. Sogar der Blumenschmuck war an verschiedenen Stellen schwarz angesengt. Du meine Güte! Ein Glück, hatte es in der Nacht kurz geregnet, denn am vorigen Tag hatten Erde und Gräser um das Grab herum knochentrocken gewirkt. Heiliges Kanonenrohr! Ein riesiger Schreck fuhr mir nachträglich in die Glieder. Stellt Euch vor, ich hätte den ganzen Friedhof angezündet!! Die Brandstifterin wäre sicher rasch gefunden worden.
Einmal mehr freue ich mich, dass mir der Himmel wohlgesonnen ist. Und mein Sohn? Er wird geschmunzelt haben über seine Mama und ihr loderndes Feuerwerk mit dem wahrscheinlich fulminanten Schluss-Knall!
Foto Elisa
Sagt, bin ich nicht ein Glückspilz? Elisa, 15.06.2022
Er hat vor kurzem seine Erstausbildung in der Pflege beendet. Während dieser vier Jahre hat er viel erlebt. Ein Jahr davon arbeitete er auf einer Pandemie-Notfallstelle. Zahlreiche Menschen hat er sterben sehen, hat er in den Tod begleitet. Die jüngste Frau war eine 35jährige Mutter von zwei Kindern; die älteste 103 Jahre alt. Kein Wunder, ist er für seine 19 Jahre ungewöhnlich ernst. „Wissen Sie“, sagt er eines Abends“, es gibt Kämpferinnen wie Sie, die können nicht loslassen, die sind nicht totzukriegen.“ (Wie bitte? Hat er gesagt «totzukriegen?») Innerlich zucke ich zusammen, dann denke ich: Er kann noch nicht wissen, dass in bestimmten Situationen der Lebenswille richtig ist, und obendrein bewundernswert.
Er fährt fort: „Andere ergeben sich still. Dann breitet sich ein wunderbarer Friede im ganzen Zimmer aus – ich spüre das bereits beim Betreten.“
Seine Worte bewegen mich, obwohl sie nicht wirklich neu sind für mich. Gewiss, unsere letzte, bestimmt schwierigste Aufgabe auf dieser Welt ist das allumfassende Loslassen, und zwar im richtigen Moment, damit wir friedlich sterben dürfen. Es ist vielleicht gewollt, dass unsere Kräfte mit zunehmendem Alter nachlassen, dass wir vermehrt geliebte Menschen verlieren, dass vieles nicht mehr möglich ist, was uns Freude macht. Dies bereitet uns auf natürliche Weise aufs Loslassen vor. Es soll Menschen geben, die ihre Todesstunde im Voraus spüren und sich dann still darauf einstellen. Und kurz darauf überschreiten sie tatsächlich die Grenze. Was für eine Gnade, wenn wir uns leicht ergeben können! Wer wünscht sich das nicht?
Ich bin indes überzeugt, dass darüber hinaus eine Höhere Macht die Fäden in Händen hält, und dass unsere Todesstunde einem göttlichen Plan folgt. Neben dem Loslassen ist deshalb für mich das Vertrauen in das, was kommt, ebenfalls von ganz enormer Bedeutung. Letzten Endes sind und bleiben unsere Geburt, unser Leben und Sterben ein tiefseelisches Geheimnis, und ein großes Wunder.
Kennt Ihr dieses Lied: Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir, gesungen von Hermann Prey? https://youtu.be/AIch werde Worte darauf setzenhQHVUSMwMg (Musik Karl Loewe. Den Liedtext von Johann Gabriel Seidl finden Interessierte am Blog-Ende)
Eindrücklich, das Lied, nicht? Und gerade weil wir nicht wissen, wann die eigene „Uhr“ abläuft, ist der Lebenswille, ist die Lebensfreude etwas so Bedeutsames. Bleiben wir deshalb dem Leben, so lange es dauert, zugewandt mit all unseren Sinnen: betrachten, schmecken, riechen, hören, bewundern, feiern wir es! Lassen es täglich aufleben in seiner Schönheit und Kraft, trotz oder gerade wegen dieser sorgenvollen Zeit. Nicht nur unser eigenes menschliches – auch das vielfältige, geniale Leben in der Pflanzen- und Tierwelt. Wir sind ja Teil von allem.
Wenn wir das Leben lieben, sollten wir den Tod nicht fürchten, denn er kommt aus derselben Hand. (Michelangelo)
Eure Elisa 08.06.2022
Foto von Freundin Barbara Butscher: Blühender Kirschbaum im BaselbietPhoto by Achim Bongard on Pexels.comPhoto by NAUSHIL ANSARI on Pexels.comPhoto by James Wheeler on Pexels.comPhoto by Gantas Vaiu010diulu0117nas on Pexels.comPhoto by Andru00e9 Cook on Pexels.com
Liedtext: Ich trage, wo ich gehe Stets eine Uhr bei mir Wieviel es geschlagen habe Genau seh ichs an ihr
Es ist ein großer Meister Der künstlich ihr Werk gefügt Wenngleich ihr Gang nicht immer Dem törichten Wunsche genügt
Ich wollte, sie wär oft rascher Gegangen an manchem Tag Ich wollt an manchem Tage Sie hemmte den raschen Schlag
In meinen Leiden und Freuden Im Sturme und in Ruh – Was immer geschah im Leben Sie pochte den Takt dazu
Sie schlug am Sarge des Vaters Sie schlug an des Freundes Bahr´ Sie schlug am Morgen der Liebe Sie schlug am Traualtar
Sie schlug an der Wiege des Kindes Sie schlägt, wills Gott! noch oft, Wenn bessere Tage kommen Wie meine Seel es hofft
Und ward sie manchmal träger, Und drohte zu stocken ihr Lauf, So zog sie der Meister mir immer Großmütig wieder auf.
Doch stände sie einmal stille, Dann wär´s um sie geschehn Kein and´rer, als der sie fügte Bringt die zerstörte zum Gehn
Dann müßt ich zum Meister wandern Und ach, der wohnt gar weit Wohnt draußen, jenseits der Erde Wohnt dort in der Ewigkeit
Dann gäb ich sie dankbar zurücke Dann würd ich kindlich flehn: Sieh, Herr, – ich hab nichts verdorben Sie blieb von selber stehn