Kennt Ihr das auch? Je älter ich werde, umso mehr zieht es mich zu meinen Wurzeln. Darum will ich Euch heute meine alte Heimat etwas näher bringen. Kommt Ihr mit mir ins Saurer-Museum in Arbon am Bodensee?

Adolph Saurer AG – ein Stück Industriegeschichte:
Kaum hatte ich letzten Sommer das Saurer-Museum betreten, wurde ich in Windeseile in eine vergangene Welt zurückversetzt. Denn gleich beim Eingang lief eine Webmaschine – die vertraute Melodie meiner Kinder- und Jugendjahre! Intensive, etwas wehmütige Gefühle durchströmten mich. Ich bin nämlich die Tochter eines „Webstübelers“, wie wir in Anspielung auf Tölpel-Witze augenzwinkernd sagten. Jeden Morgen punkt sieben setzten die etwa 30 Arbeiterinnen in der elterlichen Weberei die Webstühle in Gang. Ihr rhythmischer Klang bedeutete Heimat, war für mich eine wohlige, sanfte Art des morgendlichen Erwachens im Wand an Wand liegenden Wohnhaus.

Wer ist die legendäre Adolph Saurer AG? Die weltbekannte Firma wurde 1853 von Franz Saurer als Eisengießerei für Haushaltswaren gegründet. Ab 1869 entwickelte sie sich von der Herstellung von Fahrzeugen einerseits sowie der Produktion von Stickmaschinen anderseits, bis zur Saurer AG als einen der größten Textilmaschinenhersteller der Welt, mit Fokus auf «Maschinen und Komponenten zur Garnherstellung» und einem zweiten Geschäftszweig «Fahrzeuggetriebe Bau», mit einem Umsatz von 1,6 Milliarden Euro und fast 9.000 Beschäftigten. Infolge Corona u.a.m. sind 2021 und 2022 „die Kompetenzen gebündelt“ worden, was für mich im Klartext bedeutet, dass die stolze Firma inzwischen durch den Verkauf oder die Auslagerung von Geschäftszweigen nunmehr erheblich kleiner dasteht.

Die grosse Masse der Sauer-Arbeiter (es mögen damals gegen die 4’000 gewesen sein) war der Alptraum meiner Schultage. Punkt 12 Uhr wurde das grosse Fabriktor geöffnet, und daraus ergoss sich eine dunkelgraue Lawine aus unzähligen Velofahrern auf die Hauptstrasse heraus und rollte in langen Reihen, die ganze Breite benutzend, durch den Ort, und zwar so rasch und so dicht, dass ein Überqueren der Strasse nicht möglich war – und genau dies musste ich tun, um nach Hause zu gelangen! Wenn die Schule mittags fertig war, lief ich deshalb jeden Tag den Hügel vom Schulhaus hinunter so schnell ich konnte, um die St. Galler-Strasse vor den Velofahrern zu erreichen. War ich zu spät, musste ich eine gute Viertelstunde lang auf dem «falschen» Trottoir ausharren, bis die hungrigen Arbeiter vorbeigerauscht waren und auch mir eine Chance aufs Mittagessen liessen.

Schon früh war unsere Familie mit der Saurer AG verknüpft. Mein Großvater erlernte dort das Weben, danach gewährte man ihm ein Darlehen, damit er selbst eine Weberei gründen und aufbauen konnte. Ein Leben lang durfte er sich über einen freundlichen, wohlwollenden Umgang mit dem «großen Bruder» freuen. Später arbeiteten sein ältester Sohn und seine älteste Tochter bei Saurer, er als weltweit reisender Weberei-Techniker, sie als Webstuhl-Instruktorin in Frankreich. Ein angeheirateter Onkel fand als Buskonstrukteur ebenfalls eine äußerst anregende Saurer-Stelle in Arbon.

Das Museum zeigt die einzigartige Geschichte der weltbekannten Firma in all ihren Facetten. Zu sehen sind Nutzfahrzeuge aller Generationen, angefangen mit dem 1903 neu konstruierten ersten Lastwagen überhaupt. Der legendäre «Car Alpin», das Postauto schlechthin, dann ein einzigartiger Bus der Trambahn Zürich, Militär- und Feuerwehrautos aller Typen sowie eine grosse Motorenausstellung zeugen vom unglaublichen Pioniergeist, der die damaligen Konstrukteure (unter ihnen mein Onkel) beseelte.

Soviel für heute. Das nächste Mal werden wir uns noch etwas genauer im Museum umsehen. (Forts. folgt)
Eure Elisa
31.05.2023