Der Satz

Foto Elisa

Kürzlich hörte ich ihn wieder, diesen unseligen Satz, der viel zu häufig in Gesprächen auftaucht. Zutiefst zuwider ist er mir, doch aus unerfindlichen Gründen ist er beliebt, scheint auf rätselhafte Weise unausrottbar zu sein: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Was genau will man damit ausdrücken? Ich kann ihn nicht ausstehen. Das hat natürlich seinen Grund.

Während meiner schweren Krebserkrankung musste ich wander- und reisebegeisterte Person das Gehen von Grund auf neu lernen, weil ich so schwach geworden war. Das war schwer. Als ich nach Wochen wieder zu Hause sein durfte, bat ich die Onkologie-Begleiterin eines öffentlichen Gesundheitsdienstes, mich auf einem kleinen Rundgang durch unser Quartier zu begleiten, da ich mich ziemlich unsicher fühlte. Es wurde ein enttäuschend kurzer Spaziergang, und auf dem Rückweg sagte ich, sicher auch, um mir selbst Mut zu machen: „Ich werde bald wieder gesund und stark sein, dann kann ich überall hin gehen, wo ich will.“ Die Dame antwortete: „Jaa, jaa! Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Ich glaubte, mich verhört zu haben. Die Bemerkung traf mich wie ein Faustschlag. Sie kam mir zynisch, ja geradezu höhnisch vor, so dass mir die eigenen Worte im Halse stecken blieben. Kaum waren wir wieder in der Wohnung, holte sie ihre Unterlagen und fragte: „Und, wie fühlen Sie sich jetzt? Nennen Sie mir eine Zahl zwischen 1 und 10.“ Wenn ich die Kraft gehabt hätte, hätte ich sie in diesem Moment hochkant hinausgeschmissen!

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Gewiss, es passiert uns Menschen leider immer wieder, dass wir einander ohne Absicht verletzen. Aber dass eine Gesundheitsmitarbeiterin, die für die Begleitung krebskranker Menschen psychologisch ausgebildet ist, derart unsensibel agiert, ist für mich keine Lappalie. Ich bedaure nur, dass ich ihr dies nicht ins Gesicht sagte, sondern ihr einfach telefonisch mitteilen liess, dass ich sie nicht mehr brauchen würde.  Merkwürdig, niemand wollte den Grund wissen.

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Das ist lange her, doch der Satz verfolgt mich buchstäblich, laufend begegne ich ihm. Bitte verwendet ihn nicht. Er ist gefühllos, und vor allem gedankenlos! Soll er Hoffnung machen? Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Wenn schon, müsste man doch sagen: Gut so, Hoffnung dürfen wir immer haben!

Mit hoffnungsvollen Grüssen, Elisa
12.10.2022

20 Kommentare zu „Der Satz

  1. Es kommt immer auf den Kontext an, wenn es im Büro zum Beispiel um die Verwirklichung eines lang gehegten Vorhabens geht, sagen wir manchmal so. Auch in Italienisch gibt es diesen Satz. Und trotzdem: Ich werde künftig nach anderen, besseren Worten suchen. Danke für deinen sensibilisierenden Beitrag. Liebe Grüße Anke

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    1. Liebe Anke, danke vielmals für Deine Bemerkungen. Was, sogar im Italienischen gibt es diesen Satz? Ich weiss nicht, ob ich zu empfindlich reagiere, aber er widerspricht zudem meinem Sprachgefühl, er hat für mich auch etwas Resignierendes. Deine lieben Worte freuen mich. Herzlichst, Elisa

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  2. hallo elisa, ich denke, die frau hat ihn gedankenlos ausgesprochen. eigentlich hatte sie vermutlich sagen wollen: ich verstehe, dass sie sich hoffnung machen und das ist auch gut so! stattdessen verwendete sie den satz gedankenlos und hat vermutlich weder begriffen, noch überhaupt bemerkt, was sie da gesagt hat. ich kann deinen unmut darüber verstehen. der satz ist wirklich blöd und überflüssig. ich habe den satz auch mal von jemandem gehört in einer situation, in der ich sehr gekämpft habe. und diesen satz, der vielleicht ermutigen sollte? als schlag ins gesicht, oder besser gesagt, mitten ins herz empfunden. schön, dass es dir wieder besser geht. lg poetin

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    1. Liebe Poetin, ich danke Dir für Deinen Kommentar, der die „Geschichte“ auf den Punkt bringt. Du hast Recht, die Frau war sich bestimmt nicht bewusst, welche Gefühle sie in mir auslöste. Es tut mir leid, dass auch Du den Satz ebenfalls einmal als einen Schlag mitten ins Herz empfinden musstest. Wir sind bestimmt zwei, die ihn NIE verwenden! Herzlichst, Elisa

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  3. Liebe Elisa, von Deiner schweren Erkrankung wusste ich nichts. Es tut mir sehr leid! Du wirst mit Gottes Hilfe gesunden und gestärkt hindurch gehen.
    Die Frau, von der Du berichtest, hatte wenig Einfühlungsvermögen. Ihre Aussage klingt sehr zynisch daher gesagt. Wenn man schwach ist, kann man sich nicht wehren. Ich merke es an mir. Je älter ich werde, umso mehr lasse ich über mich ergehen, weil ich Ruhe haben will. In der Krankenpflege hat diese Frau gewiss nichts zu suchen. Sie hat Dich nicht auf- sondern abgebaut. Schweigen wäre besser gewesen.
    Hoffnung ist ein Antrieb, der Glaube, dass alles gut wird. Irgendwann wirst Du wissen, dass alles gut IST. Ich wünsche Dir ganz viele Glücksmomente und Kraft, alleine laufen zu können. Liebe Grüße, Gisela

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    1. Liebe Gisela, ich danke Dir herzlich für Dein Mitgefühl und Deine einfühlsamen Worte. Ich hätte es klarer ausdrücken sollen: Ich bin längst geheilt vom Krebs, aber gewisse seelische Verletzungen bleiben, gerade dann, wenn man sie immer wieder serviert bekommt. Dass man sich im Alter zu wenig wehrt, obwohl es bitter nötig wäre, habe ich bei meinem kürzlichen Spitalaufenthalt, den ich zur Hälfte in einer geriatrischen Klinik verbringen musste, in vollem Ausmass bemerkt. Natürlich hat mich dies sehr aufgeregt und mich womöglich zu dieser früheren Kränkung zurückgeführt. Gerade weil es dieses Mal meist um Mitpatientinnen ging, wurde mir klar, dass man sich wehren MUSS. Ich selbst konnte mich wehren und habe dies auch für eine Mitpatientin getan. Du siehst, ich bin eine Kämpferin, und ich kann zum Glück wieder recht gut laufen! Bitte kämpfe auch. Ich wünsche Dir ebenfalls viele Glücksmomente und viel Kraft. Liebe Grüsse, Elisa

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      1. Liebe Elisa, ich bin im Sternzeichen Widder geboren und eine Kämpfernatur. Manchmal habe ich den Eindruck unsere Welt ist zunehmend verroht. Dann kann ich nur den Kopf schütteln und verzweifle an soviel Ungerechtigkeit. Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt ist ist mir genauso ergangen. Auch die anschließende schriftliche Beschwerde wurde kommentarlos angenommen. Wir müssen dadurch und mit Gottes Hilfe schaffen wir das. Alles Liebe für Dich und viele Grüße, Gisela

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      2. Ja, liebe Gisela, wir müssen da durch, und mit Gottes Hilfe schaffen wir das, wie Du schreibst. Doch ist da schon eine Trauer, dass es so oft an den feineren Tönen und den liebevollen Gesten fehlt. Zum Glück gibt es immer wieder lobenswerte Beispiele, die einen erfreuen. Ich wünsche Dir alles Liebe und grüsse Dich herzlichst, Elisa

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  4. Liebe Elisa, nach dem Lesen der bereits geschriebenen Kommentare stelle ich fest: Es ist bereits alles gesagt. Von daher von mir: Danke fürs Teilen und sensibel machen, bleib gesund, viel Freude bei deinen weiteren Urlauben….
    Herzliche und vitaminreiche Grüße
    Bea 🍋🍊🍈🍏🍎🥭🍑🍇🍒🍓🥝🍐

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    1. Liebe Bea, vielen Dank für Deine Zeilen, die mich zum Lächeln gebracht haben! Die vielen Vitamine habe ich sogleich verzehrt, um mir den Frust von der Seele zu essen: Unser Herbsturlaub ist heute Morgen zum 2. Mal ins Wasser gefallen, dieses Mal, weil DER MANN leider Fieber bekommen hat. Er braucht also ebenfalls dringend Vitamine! Herzlichst, Elisa

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      1. Ach man, das ist ja doof :-/
        Dann richte dem Mann bitte gute Besserungwünsche aus. Ich drücke die Daumen, dass ihr den Urlaub verschieben könnt und schicke nochmal Vitaminnachschub.
        🍇🍈🍉🍊🍋🍌🍍🥭🍎🍏🍐🍑🍒🍓🥝

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      2. Danke herzlich, liebe Bea! Ich richte ihm das gerne aus, wenn er wach wird, und füttere ihn mit Deinem Nachschub. Ansonsten glaube ich nicht, dass der freundliche Hotelier im Elsass nochmals ein Zimmer reservieren wird für uns… Herzlichst, Elisa 🤔🤨💜💙💚

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  5. In der Tat Rutsch mir auch mal ein Satz raus was so eine typische Floskel ist. Manchmal ist es mir dann auch peinlich weil es eigentlich nicht der passende Moment ist. Danke für deinen Einblick. Liebe Grüße Hannah

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