
«Ein Mann – ein Wort. Eine Frau – ein Wörterbuch.» Diese etwas boshafte Qualifizierung schubladisiert sie beide, die Frau wie den Mann.
Weshalb machen wir das? Menschen, Dinge, Geschehnisse etikettieren? Verleiht uns das Sicherheit? Ist es Ordnungssinn? Oder Mangel an Fantasie? Angst vor Ungewöhnlichem? Vielleicht gar Neid?
Ich weiss es nicht. Ich finde Schubladisieren überhaupt nicht gut und mache es trotzdem, wie Ihr wahrscheinlich auch…
In Paris hörte ich, wie man dort einen knauserigen Menschen nennt: Elle mange en Suisse. Il boit en Suisse. (Sie isst/ Er trinkt in der Schweiz.) Das ist offenbar ein gängiger Ausdruck für Leute, die nicht teilen und alles allein für sich haben wollen. Ich fühlte mich sehr gekränkt für mein Land.

Als junge Mutter arbeitete ich samstags in einem Warenhaus, um noch etwas dazu zu verdienen. Ein schlanker, eher kleiner Italiener wollte bei mir einen Pullover kaufen, der ihm bis Mitte Oberschenkel hinunter reichte. «Der ist viel zu gross für sie, nehmen sie ihn zwei Nummern kleiner», riet ich ihm, während ich das Kleidungsstück vor seinen Körper hielt. Eine kräftige, vollbusige Dame stand neben uns. Auf Italienisch meinte sie energisch: «Der passt doch.» Der Mann: «Wirklich?» «Si, si», erwiderte sie, «der ist perfekt.» Wie befohlen, tippte ich den Preis in die Kasse. Wenn seiner Ehefrau derart lange Pullover gefielen, dann konnte mir das egal sein. Nachdem er bezahlt hatte, wandte er sich lächelnd an die Dame. «Danke vielmals für Ihre Hilfe, Signora. Das war sehr freundlich von Ihnen.» Dieses kleine Vorkommnis schubladisierte ich unter «Italiener halten durch dick und dünn zusammen».

Kurz vor der Müllabfuhr in der Hauptgasse unserer Stadt, nach einem Fest-Wochenende: Ungläubig betrachtet ein chinesisches Pärchen die unschöne Kulisse grosser und kleiner himmelblauer Abfallsäcke, überquellender Abfallkörbe, sperriger Schachteln und Kartons, die sich unübersehbar vor den Restaurants und Einkaufsgeschäften türmen. Dann zücken sie ihre Mobile Phones und knipsen eifrig. Was werden sie wohl ihren Freunden in China über die Schweiz erzählen?

In Kenia hatte ich im Naturreservat einen schwarzen Butler, der mir allmorgendlich einen heissen Tee mit Biskuits ins Zelt und ans Bett brachte. Ich kam mit ihm ins Gespräch. Er wollte partout nicht glauben, dass ich als weisse Lady in meinem Heimatland arbeitete und keinen Butler hatte, der mich von morgens bis abends bediente. Ich meinerseits hatte damals keine Ahnung, wie unglaublich reich und vielfältig der afrikanische Kontinent an Rassen, Kulturen, Gebräuchen und wunderbarer Kunst ist.

Zwei Freundinnen sitzen im Café. Sagt die eine: «Siehst du das Knochengestell dort drüben? Die sitzt nun schon seit mindestens dreiviertel Stunden vor einer Tasse Tee. Kein Wunder, ist die so dünn.» Die Freundin: «Bestimmt ist sie magersüchtig.» Tatsächlich? Es könnte doch sein, dass sie krank ist?

Mich dünkt, Schubladisieren hat mit Vorurteilen zu tun. In unserem Leben gibt es überall randvolle Schubladen. Wahrscheinlich wäre es eine Erleichterung, sie wieder einmal zu leeren und zu entstauben, besonders jene, auf denen «Nationalitäten», «Rassen» oder «Politik» steht.

Elisa, 3.2.2021
Liebe Elisa, der Mensch hat die Angewohnheit, alles zu benennen und in Schubladen zu stecken. Meist schlimm für diejenigen, die nicht ins Schema passen. Ich habe eine Zeitlang für Emmaus International gearbeitet und weiß, wovon ich schreibe. Haben nicht alle den gleichen Wert? Meist sind es die Sozialschwachen, die noch ihr letztes Hemd teilen. Ich versuche, ohne Vorurteile zu sein. Leider will das nicht immer gelingen. Aber ich übe noch!
Ganz liebe Grüße
Gisela
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Wir sind alle Menschen, gelt! Danke für Deine lieben Zeilen. Unsere Welt ist leider nicht perfekt, aber sich zu bemühen, andere zu achten und ihnen, wenn nötig, zu helfen ist bestimmt nie vergebens. Ich wünsche Dir alles Liebe, Elisa
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Liebe Elisa,
ich glaube dass das keine Angewohnheit ist, sondern eine völlig normale ReAktion, weil das Gehirn alles, was es aufnimmt automatisch mit bereits entstandenen ‚Bildern‘ abgleicht.
Daher haben wir auch immer gleich Bilder im Kopf, wenn wir bekannte Lieder und Melodien hören. Dann macht es >>peng<< und automatisch sind wir in einer Situation, bzw. haben die Situation vor Augen, die wir mit dem Lied…. verknüpft haben.
Wichtig ist lediglich, dass wir diese Kopplungen immer wieder aufs Neue prüfen, mit der aktuellen Situation abgleichen und in eine stimmige Lade räumen. Nur so entsteht Weiterentwicklung und nur so verhindern wir falsche und unpassende Ergebnisse. Nicht nur bezogen auf Politik, Religion, Rassen, Gender, ….. sondern auf alles.
Aber wem sag ich das 🙂
Liebe Grüße Bea
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Herzlichen Dank für Deinen Beitrag, liebe Bea. Das ist spannend. Wie ist das bei Kleinkindern, auch beim Sprechen lernen? Sie haben noch keine oder nur wenige, eher gefühlsmässige Bilder im Kopf. Sind es dann die Bilder der Eltern, die sie ihren Kindern vermitteln? Dann hätte Erziehung einen noch grösseren Einfluss als bisher bekannt. Ich bin gespannt auf Deine Antwort. Fühl Dich fest umarmt. Liebe Grüsse, Elisa 🎀🎨👓
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Guten Morgen Elisa, auch Kleinkinder sammeln ‚Eindrücke‘ – man nennt sie Erinnerungen. 🙂 Und je nachdem, in welche Situationen Eltern ihre Kinder bringen, entstehen ‚Eindrücke‘ – gute, so wie schlechte. Bei Kleinkindern ist nur zu beachten, dass sie sich nicht an alle ‚Eindrücke‘ erinnern können und/oder extrem traumatische Erlebnisse und die damit gemachten Eindrücke verdrängen. Dadurch können massive seelische Störungen entstehen, die erst durch gezielte Behandlung, wie zum Beispiel (Hypnose)Therapie wieder ans Licht kommen…. aber das führt jetzt zu weit. 🙂
Klar ist: Dass Erziehung da schon eine wichtige und nicht zu vernachlässigende Wirkung hat!
Liebe Grüße samt einer festen Re-Umarmung <— Bea
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Liebe Bea, danke Dir herzlichst für Deine Antwort. Man spürt, dass Du aus dem Vollen schöpfen kannst. Kleine Kinder befinden sich noch im Alphazustand und dadurch noch verletzlicher als Erwachsene, oder nicht? Ich umarme Dich fest und wünsche Dir einen geruhsamen Sonntag. 🤔🤩😀 Ganz liebe Grüsse, Elisa
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Liebe Elisa, ja – Kinder sind sehr sensibel und dadurch verletzlich. Und wenn die kleinen Seelen schon im Kindesalter gebrochen werden, hat das lebenslange Folgen. Erwachsene können das durch ihren Erfahrungsschatz besser verarbeiten und sind somit nicht so leicht zu verletzen. Ist aber nur meine Vermutung…
Pass gut auf dich auf, herzliche Grüße Bea 🌻
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Liebe Elisa,
meine volle Zustimmung zum „Entleeren und Entstauben“ von Schubladen in vielen Bereichen unseres Lebens!
Leider beobachte ich immer wieder, dass Voreingenommenheit und Vorurteile im Alltag weit verbreitet sind und man selbst mit vernünftigen Argumenten nur schwer dagegen ankommt. Ich finde es gut, diese Thematik anzusprechen und sich damit zu beschäftigen, so wie Du es getan hast. Das macht unseren Gedankenaustausch so wertvoll.
Bezüglich Deiner Geschichte mit der „Dünnen“, welche die Frage einer Magersucht nach sich zog, erreichte mich heute die besorgte Nachricht einer früheren Kollegin.Ihre 14jährige Enkelin mit nur 36 kg Gewicht wurde ohnmächtig mit Blaulicht in die Charité eingewiesen mit der Diagnose Essstörung. Nachdem sie eine Woche am Tropf lag, muss sie nun eine Therapie in der Klinik über ein Vierteljahr absolvieren.
Sie weinte bei jedem Essen und fand sich zu fett, wenn sie sich im Spiegel betrachtete.Eine traurige Geschichte.
Liebe Grüße Ursula
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Liebe Ursula, ich danke Dir herzlich für Deinen Beitrag. Wo ich selbst dran bleiben muss, ist, Toleranz und Flexibilität nicht zu verlieren. Man wird mit dem Alter müde und ich bemerke bei mir, dass mir allzu viele Veränderungen Mühe machen.
Ja, Magersucht kenne ich ebenfalls aus meiner Familie. Das ist eine ganz tragische Fehlentwicklung. Wahrscheinlich steckt dahinter unter anderem mangelndes Selbstvertrauen. Ich hoffe, dass besagte Enkelin von der Essstörung geheilt werden kann.
Ich wünsche Euch beiden eine gute und gesunde Zeit. Liebe Grüsse, Elisa
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liebe elisa, danke für diesen beitrag, der mich zum nachdenken, umdenken und immer wieder korrigieren anregegt. ich glaube aus vorurteilen wird schnell ein verurteilen. dies zu durchbrechen halte ich für so wichtig und muss mich da auch immer wieder anstupsen und drauf aufmerksam machen
herzlichst
annette
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Ja, da hast Du Recht, liebe Annette. Danke Dir für Deinen Beitrag, er hat mich gefreut. Liebe Grüsse, Elisa
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Liebe Elisa,
Du bist so ein toleranter Mensch und flexibel allemal! Das zeigen Deine lebhaften, vielseitigen und vielschichtigen
Geschichten und Beiträge! Würden wir uns nicht kennen, ich schätzte Dich um vieles jünger.
Man mag im Älterwerden nicht mehr so gerne Veränderungen und hat es lieber etwas ruhiger, unaufgeregter. Da stimme ich Dir zu, da ich auch so empfinde. Aber ich glaube, dass dies auch ein Schutzschild zum Wohle unserer Gesundheit ist, also akzeptieren wir es gerne. Euch beiden alles Gute und bleibt gesund! LG Ursula
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Liebe Ursula, danke für Deinen lieben, ermutigenden Beitrag. Ja, Du hast Recht: Im Alter haben wir ein gewisses Recht auf Schonung, das wir ruhig nutzen dürfen. Ich wünsche Euch ein frohes und gemütliches Wochenende. Ganz liebe Grüsse, Elisa
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Liebe Elisa, so wahre Worte! Es kann sich wohl keiner davon freisprechen, Menschen – auch unbewusst – vorzuverurteilen. Umso wichtiger, uns regelmäßig daran zu erinnern und der Reflektion wann immer möglich Raum zu geben.
Herzliche Grüße! Eva
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Ja, gelt, das Leben ist ein Lernen und Wachsen. Doch das macht es ja auch spannend. Ich danke Dir, dass Du mir folgst. Das freut mich. Liebe Grüsse, Elisa
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Manche “Vorurteile” sind nett und gar nicht böse gemeint, schließlich leben wir nun mal in verschiedenen Kulturen. Wie nennt ihr Schweizer die Deutschen? Die Österreicher nennen uns Piefkes, die Italiener Kraut- oder Kartoffelesser. Na und, ich als Deutsche habe kein Problem damit. Die Szene mit dem Pullover zeigt einfach, dass Italiener im Zweifel auf die Mama (oder ersatzweise eine andere Italienerin) hören. In modischen Angelegenheiten liegen sie damit meist auch auf der sicheren Seite (im Vergleich zu uns Deutschen zum Beispiel).
Tanti saluti da Italia! Anke
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Liebe Anke, danke Dir für Deinen Kommentar zu einem längst geschriebenen Beitrag. Ich musste nachschauen! Du hast natürlich Recht: Die meisten Schubladisierungen sind nicht böse gemeint, es gibt sogar liebenswürdige, und sie existieren halt eben. Dennoch glaube ich, dass uns Schubladisierungen oft einengen. Ich freue mich darüber, wie Du die Italiener beschreibst. Das tönt sehr sympathisch und zeugt von „Insider“-Wissen, wie ich Deinem Blog entnommen habe. Übrigens: Wir Schweizer nennen die Deutschen alle „Schwaben“, was erst noch falsch ist. Ich wünsche Dir weiterhin frohe interkulturelle Erlebnisse. Herzlich, Elisa
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