Geisterstunde

Geht Ihr nachts über einen Friedhof, spaziert durch dunkle Gässlein oder besucht im Nebel einen einsamen Park? Ich sicher nicht! Ich beschleunige den Schritt, sobald es dunkel wird. Wovor ich mich fürchte? Weniger vor Spukgestalten als vor Menschen aus Fleisch und Blut. Man weiss ja nie…

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Liebt Ihr das Gruseln? Im nebelverhangenen November gedenken wir unserer Verstorbenen auf besondere Weise. DER MANN und ich finden die zahlreichen brennenden Kerzen auf den Friedhofgräbern beim Einnachten zauberhaft. Vielerorts herrscht auch der Brauch, im kleinen Kreis um ein knisterndes Kaminfeuer zu sitzen und einander Gespenstergeschichten zu erzählen.

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Wie kommt es aber, dass gerade die Briten mit Gespenstern «auf Du und Du» sind? Es ist gewiss kein Geheimnis, dass Engländer Übersinnliches geradezu hätscheln, und dass in ihren Schlössern die Gespenster ein- und ausgehen. Aus dem Magazin des «British Shop» erfahre ich die mutmasslichen Gründe:

Es gibt auf den britischen Inseln unzählige uralte Häuser, Schlösser und Burgruinen, wie geschaffen für umherirrende lichtscheue Gestalten. Dazu neblige Landschaften, insbesondere die düsteren Moore. Glaube und Aberglaube verschiedener Völker haben sich über die Jahrhunderte vermischt, so dass sich neben spukenden Kelten oder einem axtschwingenden Wikinger vielleicht ein normannisches Burgfräulein um einen kreischenden Schädel oder einen kopflosen Römer in Sandalen kümmert, während sich ein einäugiger Pirat feige von dannen schleicht.

Photo: Elisa, beim Eingang von Schloss Wartensee

Kein historisches Gebäude ohne Hausgespenst! In Schloss Windsor soll es gar 25 sogenannte Untote geben. Bestimmt zollen sie der Königin den nötigen Respekt – sozusagen im Austausch zur Gratis-Beherbergung … Ist ein Hotel oder Pub «haunted», d.h. heimgesucht, wird das nicht etwa schamhaft verschwiegen – im Gegenteil, es ist beste Werbung, selbst wenn die Geisterwesen nachts unsanft ihr gruseliges Unwesen treiben! Briten lieben ihre Gespenster! Was aufgeklärte Menschen und die Wissenschaft als Aberglaube und Sinnestäuschung abtun, hat auf den britischen Inseln eine Vielzahl von begeisterten Anhängern.

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Der US-amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809–1849) prägte die zu seiner Zeit eher neuen Genres der Kriminal-, der Horror- und der Schauerliteratur. Er war ein Virtuose des Grauens. Kennt Ihr seine Kurzgeschichte «Der Untergang des Hauses Usher?» Darin zieht er alle Register des Grauens mit den passenden Ingredienzien: Ein einsames, heruntergekommenes Haus, an einem unheilschwangeren Tümpel gelegen, eine von Blitz und Donner zerrissene Sturmnacht… Kein Wunder, druckte und las man in England seine Geschichten. Doch ein Honorar bekam Edgar Allan Poe von dort nie…

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Selbst in Bern haben wir ein Gespensterhaus. Es ist seit Jahren unbewohnt. Laut Touristenwerbung können Unerschrockene abends einen «gruseligen Streifzug durch Berns Schattenwelten und Geistergeschichten» machen. Die Führung startet beim Einnachten. Hier der Originalton von Bern Tourismus:

Unterwegs werden Spuk-Orte der Altstadt besucht, denen Begegnungen mit Teufeln, Gefangenen, Mörderinnen und unerlösten Seelen nachgesagt wird. Der Weg führt vorbei an Plätzen furchtbarer Verbrechen: Ecken und Gässchen sind stumme Zeugen scheusslicher Vorfälle und unheimlicher Legenden. Der Rundgang verbindet auf gekonnte Weise Sagen und Schauergeschichten mit historischen Geschehnissen.

Photo by Lennart Wittstock on Pexels.com

Ich selbst glaube nicht an Gespenster. Paradoxerweise fühle ich mich trotzdem zu unerklärlichen Phänomenen hingezogen und mag es, wenn mir gelegentlich eine Gänsehaut über den Rücken jagt – natürlich nur, wenn ich nicht allein bin. Es war ein eiskalter, finsterer Dezember-Abend, als wir vor mehreren Jahren von unserer grosszügigen Chefin zu einem Stadtrundgang «Gespenstisches Bern» eingeladen wurden. Es gelang dem grossartigen Stadtführer sogar, uns in dunklen Ecken und auf steilen Treppen unerwartet zu erschrecken. Inzwischen ist er gestorben. Die Führungen gibt’s aber immer noch. Ob er dabei Pate steht?  

Wieder Bern Tourismus: Als Grundlagen für den Rundgang dienen Überlieferungen und Aufzeichnungen dreierlei Autoren, die durch Berns schaurige Kapitel führen. Da ist die Geschichte des skrupellosen Metzgerburschen, der in der Gestalt eines Kalbes für seine grausamen Taten sühnt (ein sprichwörtlich dummes Kalb). Bei der Junkerngasse 54 ist die Rede von düstern Mythen rund um das verlassene Geisterhaus, welches seit dem Tod zweier Liebender nicht mehr bewohnt werden kann (wozu brauchen die beiden so viel Platz?)

Ein paar Gassen weiter, so erzählte uns der Stadtführer, wohnte ein Henker, der seine eigene Tochter köpfte – nicht aus einem ehrenhaften Grund heraus, sonst würde sie nicht herumspuken…

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Zahlreiche Gruselgeschichten kamen ans Licht und liessen uns die Haare zu Berge stehen. Das Gruseln dauerte ganze 90 Minuten!

Ich konnte in dieser Nacht kaum schlafen, obwohl ich vorher natürlich unters Bett geguckt hatte. «Typisch Frau, total unlogisch», werdet Ihr Männer denken, «Gespenster können doch mühelos durch jede Wand schlüpfen. Die verstecken sich wohl kaum unter Betten.»

Liebe Ladies, schaut heute Nacht trotzdem unters Bett!

11.11.2020, Elisa

Photo: Geisterufo2

16 Kommentare zu „Geisterstunde

  1. Liebe Elisa, beim Lesen Deiner Geschichte habe ich richtig mitgefühlt. Ich glaube an gute Geister, so muss ich auch an das Gegenteil glauben, und ich bin sehr feinfühlig, was das betrifft. Es nahm mir die Luft zum Atmen, als ich beispielsweise die Gedenkstätte in Buchenwald besucht hatte. Dort ist das Schreckliche noch präsent. Auf Friedhöfe zu gehen, des nachts, da hätte ich keine Angst vor den Toten, nur Angst vor den Lebenden. Hier bei uns ist ein Landstreicher enthauptet worden. Also bleiben wir wachsam!
    Hast Du den wehenden Vorhang gesehen?
    Vielleicht ist Nosferatu schon hinter Dir? 👻

    Ich wünsche Dir einen hellen, angstfreien Tag!

    Liebe Grüße von Gisela

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  2. Danke, liebe Gisela, für Deine lieben Zeilen. Es ist das Unbegreifliche in unserem Leben, dass Menschen so grausam sein können! Ob sie vielleicht deshalb nach dem Tod keine Ruhe finden? Ich spüre an Deinen Texten, dass Du ein unglaublich feinfühliger Mensch bist. Das ist etwas Schönes, aber auf dieser Erde kein Leichtes. Ich wünsche Dir alles Liebe, Elisa

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  3. „Das Angstzentrum: Ein markerschütternder Schrei, ein heranfliegender Stein – Menschen reagieren instinktiv auf potenzielle Bedrohungen, ducken sich weg, schützen den Kopf mit den Armen. Hierbei hilft die Amygdala, das aus einem Bündel Neuronen bestehende, mandelförmige Angstzentrum über dem Stammhirn. Sofort nach dem Eintreffen der sensorischen Reize im Thalamus gelangen sie an die Amygdala und werden von dort aus weitergeleitet – auf zweierlei Wegen.
    Der schnellere der beiden Wege funktioniert wie der Bewegungsmelder einer Alarmanlage und setzt spontan Reaktionen im ganzen Körper in Gang. Erstarren, Fliehen oder Kämpfen sind die Optionen, die je nach Bedrohung folgen. Und zwar noch bevor beispielsweise der heranfliegende Stein genau identifiziert wird.
    Der Blutzuckerspiegel steigt, das Herz schlägt schneller
    Das Signal der Sinnesreize gelangt aber auch über einen Sekunden-Bruchteile langsameren „Umweg“ zum sensorischen Kortex. Dieser Hirnbereich verschafft ein einordnendes, klareres Bild über die potenzielle Bedrohung – und verstärkt dann die Abwehrreaktion oder entlarvt sie als Fehlalarm.
    Dabei betont der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux, Angst beim Menschen sei mehr als das Empfinden von Bedrohung. „Angst ist ein Konzept, nicht ein ‚Ding‘ im Gehirn.“ Die Chemie der Angst: Die Erwartung, dass uns Schlimmes zustoßen kann, setzt eine chemische Kaskade in Gang. Vor allem über den Botenstoff Glutamat werden Alarmsignale in andere Hirnteile wie den Hypothalamus und dann in den Körper gestreut. Das Nebennierenmark stößt große Mengen des aufputschenden Stresshormons Adrenalin aus, der Blutzuckerspiegel steigt, das Herz schlägt schneller und die Handinnenflächen werden feucht.
    Bleibt das Schlimmste dann aber aus, strömt das beruhigende Wohlfühlhormon Endorphin durch den Körper. Dieser Hormonmix ist es wohl auch, den viele Menschen am Grusel-Gefühl mögen – denn er kann selbst bei der Gespensterstory vor dem Kamin einsetzen.“

    Dies ist ein Auszug aus folgendem Artikel und er sagt m.M.n. genau das, was Gruseln macht. 🙂

    https://www.haz.de/Nachrichten/Wissen/Uebersicht/Was-bei-Grusel-und-Horror-im-Gehirn-passiert

    Danke für deinen Text – ich mochte ihn nicht nur, nein – er hat mich wie du siehst dazu animiert, mich intensiver mit der Materie zu beschäftigen! 🙂

    Herzliche Grüße Bea

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    1. Liebe Bea, das ist eine tolle, eingängige Erklärung dafür, was in unserem Körper abgeht. Wunderbar! Da muss man sich also nicht komisch vorkommen, wenn man das Gruseln mag. Herzlichen Dank für Deinen spannenden Beitrag, der mich sehr gefreut hat. Liebe Grüsse, Elisa

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  4. Ein ungewöhnliches Thema passend zum grauen nebelverhangenen November hast Du Dir ausgesucht liebe Elisa! Sofort war ich bei den alten englischen Schlössern und deren Geschichten, welche den Touristen gerne erzählt werden,um das Objekt interessant zu machen. Dorthin und zu den Briten passt das Thema wirklich gut. Hierzulande möchte ich mich nicht gruseln/schaudern lassen, es fehlt mir keinesfalls. Es reicht schon ab und zu Furcht empfinden zu müssen, wenn man abends unterwegs ist und ich bei zweifelhaften Gestalten sofort die Straßenseite wechsle.
    Übrigens in der Zeitschrift „The british Shop“ blättere auch ich gerne und bin u.a. auch an den Bücherangeboten interessiert. Liebe Grüße Ursula

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  5. Liebe Ursula, im Sommer käme ich tatsächlich nicht auf die Idee, Gespenstergeschichten zu erzählen, da bin ich sehr realistisch. Aber das Gruseln passt mir gerade jetzt ganz gut. Wenn Du magst, lies doch bitte den spannenden Beitrag einer meiner Blog-Freundinnen (Mindsplint) weiter oben, wo sie das Gruseln plausibel erklärt.

    DER MANN und ich gehen gerne beim Einnachten zu Bernies Grab und zünden eine Kerze an. Die Novemberstimmung passt eben auch zur Trauer…
    Es freut mich, dass Dir der British Shop ebenfalls gefällt. Auch ich kaufe hin und wieder ein Buch. Schade nur, dass die meisten nicht in English erhältlich sind.
    Danke herzlich für Deinen Beitrag! Liebe Grüsse aus Bern, Elisa

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  6. Liebe Elisa, den Kommentar von Blockerin Mindsplint habe ich mit Interesse gelesen und es ist ein guter Nebeneffekt Deiner Geschichten, dass man sich mit der Materie befasst und wie hier Wissenslücken schließt.
    Man lernt eben nie aus!
    Ich kann gut nachvollziehen, wie wertvoll es für Dich ist gerade jetzt im November in stillem Gedenken am Grab Deines Sohnes zu verweilen und eine Kerze anzuzünden. Es ist gut, dass es diesen Platz für Dich gibt.
    Auch ich gedenke meiner Eltern, deren Grab sich leider 400 km entfernt an meinen Geburtsort befindet. Es wird liebevoll gepflegt von meinen Bruder und seiner Ehefrau, gerade heute erreichte mich ein Foto von dieser letzten Ruhestätte unserer Eltern schön geschmückt in Vorbereitung des Totensonntages. So kann ich ihnen meine Gedanken aus der Ferne widmen und Danke sagen für alles, was sie für uns Kinder getan haben.
    Liebe Novembergrüße von Ursula

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  7. Liebe Ursula, nächsten Sonntag ist bei uns Ewigkeitssonntag, das bedeutet unter anderem, dass der Gottesdienst vom 22. November 2020 den Hinterbliebenen gewidmet ist und der Pfarrer die Namen aller in diese❤m Jahr Verstorbenen aufruft. Es ist ein schöner, sinnvoller Brauch, und selbstverständlich gehen wir in die Kirche. Wir mussten uns jedoch anmelden. Wegen Corona hält der Pfarrer den Gottesdienst an diesem Tag fünfmal ab. Das Grab ist ein guter Ort für Erinnerungen und Trauer. DER MANN und ich gehen mindestens zweimal die Woche auf Bernies Grab und reden mit ihm.
    Liebe Ursula, herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Die Informationen von Bloggerin Mindsplint finde ich ebenfalls äusserst spannend. Es ist toll, wenn meine Leserinnen mitgehen und mitdiskutieren.

    Herzlichst, Elisa

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