
Man sagt, Marrakesch, die Hauptstadt von Südmarokko und eine der vier Königsstädte, sei der Höhepunkt einer Marokkoreise. Die „Stadt der Rosen“ sei „so ewig wie der Schnee auf den höchsten Gipfeln und so tief in der Geschichte verwurzelt wie Palmen in der Erde“. Im Laufe von über tausend Jahren haben die größten Könige um Marrakesch gestritten, Dynastien entstanden – und verschwanden wieder. Was blieb, wurde von Gelehrten, Handwerkern, Architekten, Malern und Bildhauern aller Epochen geschaffen: prächtige Paläste, Moscheen und Gärten. In der Königsstadt kommen Berber und Araber, Nomaden und Bergbewohner zusammen, was ihr wohl diese facettenreiche, farbenprächtige Lebendigkeit verleiht.

Eine rote Stadtmauer aus dem 11. Jahrhundert umschließt auf 12 Kilometern Länge die Altstadt von Marrakesch, die sog. Medina. Wie schon letztes Mal berichtet, herrscht drinnen ein unglaublich pulsierendes Leben, vor allem in den Souks. Der fröhliche Bäcker lässt DEN MANN und mich seine Untergrund-Bäckerei besichtigen und schenkt uns zwei frische Fladenbrote, ofenheisse, so dass wir sie beinahe fallen lassen.
Der El Bahia-Palast wurde um 1900 vom Großwesir Bou Ahmed mit orientalischer Prachtentfaltung angelegt. Bou Ahmed, ein einflussreicher Mann, übte die Vormundschaft über den jungen Sultan Abd el Aziz aus. Sein Schlafzimmer im Palast, sehr groß, mit vielen Nischen und Alkoven, war mit einem geräumigen Sommer- und einem ebenso geräumigen Winterbett ausgestattet. Hafid, unser kurzfristiger Reiseführer, erzählt, dass beim Liebesspiel des Wesirs mit den Haremsdamen jeweils auch Musikanten zugegen waren. Aber diese hatten blind zu sein, damit sie nicht etwa Dinge sahen, die sie nicht sehen durften. Vorwitzig frage ich: „Und ‚hören‘ war erlaubt, oder mussten sie sehr laut spielen?“ Damit bringe ich Hafid ungewollt in Verlegenheit.

Die Place Djemaa el Fna in der Altstadt ist übervölkert wie jeder Marktplatz auf der Welt – und wirkt doch einzigartig. Übersetzt heißt er „Versammlung der Toten“, da hier in früheren Jahrhunderten die Köpfe der enthaupteten Delinquenten, auf Speerspitzen gespießt, dem Volk als blutige Abschreckung präsentiert wurden. Inzwischen nennt man die Djemaa el Fna den schönsten Platz Afrikas. Denn heutzutage geht’s weit humaner zu und her, obwohl er in Meister Hitchcocks Film „Der Mann, der zu viel wusste“ als Kulisse für einen beklemmenden Film-Mord herhalten musste.

DER MANN und ich genießen die schillernde Atmosphäre des berühmten Platzes. Inmitten der fliegenden Händler mit ihren auf Wolldecken ausgebreiteten Waren entdecken wir den Zahnausreißer mit seinem Tablett voller Beweisstücke, den Wunderheiler (der die Beweisstücke schuldig bleibt) oder den unter aufgespanntem Schirm wartenden öffentlichen Schreiber, der seine Klienten auf kleinen bereitstehenden Hockern empfängt. Kalte Schauer rieseln DEM MANN und mir über den Rücken beim Anblick von Dutzenden sich aufrichtender Schlangenkörper, die den näselnden Flöten ihrer Beschwörer gehorchen, welche oft sogar ganze Bündel Schlangen um den Hals tragen.


Der buntgekleidete Wasserverkäufer, der mit Glöckchen auf sich aufmerksam macht, dient heutzutage meist der Folklore (bitte kein Wasser verlangen, könnte Leitungswasser sein!). Auch allerhand Gaukler sind zugegen, Musikanten, Tänzerinnen, Akrobaten, Wahrsagerinnen, Feuerschlucker, Märchenerzähler… Viele wollen uns fotografieren – natürlich gegen ein Entgelt – und die mitgeführten Tiere leisten dem Ansinnen Vorschub. So hüpft mir ein kleiner Affe völlig unerwartet auf den Kopf und posiert dann ganz professionell auf meinem Arm. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er auch gleich noch gelächelt hätte!

Der quirlige Mann am Orangensaft-Stand mit seinen kunstvoll aufgebauten Orangen-Bergen; die gelenkigen Possenreißer, die listigen Zauberer: sie alle wollen Geschäfte machen inmitten von Lärm, Gestank und Schmutz.

Bei einbrechender Dunkelheit wirkt der Platz am geheimnisvollsten. Im Licht der Karbidlampen steigen von den unzähligen Straßenküchen dichter Rauch und appetitliche Düfte auf. Eine verführerische Einladung, die eigene Biederkeit abzulegen! Gibt es etwas Schöneres, als sich ganz von dieser vibrierenden orientalischen Lebensfreude mitreißen zu lassen?

Elisabeth, 1. Juli 2020
Da bekommt man gleich Lust auf Reisen 👍😀
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Ja, wie lange dauert es wohl, bis wir unser Reiseziel wieder nach Lust und Laune auswählen können? Wir lernen Geduld in diesem Jahr… Herzlichen Dank für Deinen Beitrag und liebe Grüsse, Elisa
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Vielen Dank Elisa, dass Du mich mitgenommen hast auf Deine Reise durch den Orient – meine Sinne wurden beim Lesen alle angeregt. Das kommt genau richtig in einer Zeit, wo das Reisen so schwierig ist! Herzliche Grüße Bea :-*
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Herzlichen Dank für Deinen Beitrag, liebe Bea. Warst Du auch schon im Orient? Er ist wirklich eine Reise wert (wenn man es dann unbekümmert wieder wagen kann). Unterdessen werden wir noch Experten im virtuellen Reisen! Alles Liebe, Elisa
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Guten Morgen liebe Elisa,
Nein, ich habe den Orient bislang noch nie bereist und ehrlich gesagt: Ich lese super gerne Berichte über diese Gegend, aber ob ich da wirklich hin möchte, weiß ich gar nicht so genau – da reizen mich andere Ziele , wie zum Beispiel Südamerika und Australien noch viel mehr, um mal gedanklich auf Fernreise zu gehen. Und auch innerhalb Europas gibt es Landschaften wie Skandinavien und Schottland/Irland, die mir geschmacklich mehr zusagen. Aber wie gesagt, von 1000 und einer Nacht zu träumen, bzw. Berichte zu sehen und zu lesen ist dennoch schön und faszinierend! Daher an dieser Stelle nochmal ein dickes Dankeschön für Deine Geschichten….
Herzliche Grüße Bea 🙂
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Liebe Bea, ich finde es total schön, wie jede/jeder seine bevorzugten Reiseziele hat. Die Welt ist ja auch unglaublich vielfältig, so vielfältig wie wir Menschen. Mich hat’s immer eher nach Asien und Afrika als nach Südamerika gezogen, wäre ich aber dort gelandet, hätte es mir bestimmt auch gefallen. So oder so: Reisen und Träumen sind ganz einfach tolle Beschäftigungen. Vielen Dank und liebe Grüße Elisa 💕
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