Mea culpa


Mea Culpa

Schon als kleines Kind pflückte ich voller Begeisterung im Garten meiner Eltern Blumen und schmückte unseren Esstisch damit. Wenn eines in der Familie Geburtstag hatte, umrahmte ich seinen Teller mit dem blumigen Segen. Der kranken Mutter versuchte ich mit einer Handvoll Schneeglöckchen oder Veilchen eine Freude zu machen.

Kleine Wildblumen-Büschelchen haben mich seit jeher entzückt. Aber ich bin längst kein Kind mehr, was das Zusammentragen schwieriger macht. Könnt Ihr euch vorstellen, was mich das hier abgebildete Frühlingssträusschen gekostet hat? Mehr als ich gedacht hätte. Das kam so:

In diesen Tagen verlassen wir das Haus etwas verstohlen, weil wir wegen des Distanzhaltens niemandem begegnen möchten. Hin und wieder ein wenig Luft schnappen an einem einsamen Ort, ist in diesen üppig blühenden Frühlingstagen eine besondere Wohltat. Wir glauben, dass dies weder uns noch anderen schaden wird.

DER MANN und ich sind uns einig, heute wollen wir in einem kaum besuchten Wald ein paar Blumen für den Palmsonntag pflücken. Seit Jahren kenne ich einen Ort, wo ein Bächlein plätschert und die prächtigsten Wildblumen wachsen. Nach einem längeren Spaziergang gelangen wir dahin. Veilchen, Sumpfdotterblumen und Schlüsselblümchen leuchten uns entgegen, allerdings nicht unmittelbar am Weg, sondern ein steiles Stück unterhalb. Ich schicke mich an, langsam, vorsichtig die Böschung hinunter zu tappen. «Was machst du denn», ruft der MANN, «hier kannst du doch nicht runter! Gerade jetzt darfst du keinen Unfall riskieren, in den Spitälern haben sie zurzeit keine überzähligen Betten.» «Ich riskiere keinen Unfall», gebe ich zurück, «schon immer bin ich hier hinuntergegangen.» «Das war einmal», widerspricht er, «mit bald 76 kannst du das nicht mehr.» Das weckt meinen Ehrgeiz, ich gehe weiter. Und schon geschieht, was geschehen muss: Ich falle hin und rutsche auf meinem Allerwertesten nach unten, die ganze Böschung hinunter, während der Mantel und mein kurzer Rock nach oben rutschen.

Da hocke in nun, von der Taille an abwärts nur mit meiner knallbunten, kornblumenblauen Strumpfhose bekleidet – inmitten von feuchter Erde, kleinen Ästchen, Moos – und dummerweise auch noch auf einer spitzen Baumwurzel. Ich schaue vorsichtig zum MANN hoch, der mit tadelnder Miene oben auf dem Waldweg steht. Vorwürfe wie «Ich hab’ dich ja gewarnt», höre ich indessen nicht von ihm. Er ist und bleibt ein Gentleman.

Schade jedoch, entgeht ihm die Komik der Situation. Die Rutschpartie hätte ein höchst schräges Video ergeben. So schnell wird aus einer gepflegten Erscheinung eine lächerliche Figur… Vorerst bleibe ich einfach hocken. Ein unbändiges Lachen erfasst mich, die strenge Miene DES MANNES reizt mich doppelt. In solchen Momenten perlt meine Lebensfreude an ihm ab wie Wassertropfen an einem Erpel. Er ist viel besonnener als ich und würde sich nie freiwillig in eine derart peinliche Situation hineinmanövrieren. Seitdem, hat er gestern verlauten lassen, sei sein Handy bei Spaziergängen nun immer mit von der Partie…

Als mein feuchter Hosenboden kalt wird, besinne ich mich und will aufstehen. Aber oha lätz! DER MANN hatte Recht wegen der 76 Jahre! Mir fehlt die Kraft in Armen und Beinen, um mich aufzurappeln. Saublöd! Unter seinen stummen Blicken strenge ich mich mächtig an, es dauert und dauert. Ich bin ja selbst schuld. Wer sich etwas eingebrockt hat, muss es auch auslöffeln. Der Baum, von dem die spitze Wurzel stammt, ist morsch und gibt nicht den geringsten Halt. Immer wieder muss ich lachen, obwohl es längst nicht mehr lustig ist. Nach langen Minuten und unter Aufbietung meines ganzen Willens gelingt das Aufstehen endlich, und ich befinde mich nur noch drei Meter vor dem Bächlein mit den vielen Blumen.

Schön ist das Sträusschen geworden, oder nicht?

Bleibt noch anzumerken, dass es nochmals einen enormen Kraftaufwand und die Mithilfe des MANNES braucht, um die Böschung wieder hinaufzukommen. Pieksende Halme und Dornen hängen mir an Strümpfen, Jupe und Mantel, feuchte Erde an meinem Po. Doch ich bin glücklich mit meinem Sträusschen, das ich wie eine Trophäe nach Hause trage. Erst, als ich es zu Hause liebevoll arrangiert auf den Tisch stelle, meint DER MANN anerkennend: «Es ist wirklich hübsch.»

Elisabeth, 15.4.2020

23 Kommentare zu „Mea culpa

    1. Lieber Hannes, das finde ich auch! Herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Trag Dir ebenfalls Sorge und bleib gesund. Bei uns ist das Risiko eingeschränkt, da Beat „für meine Eskapaden“ jetzt sein Handy allzeit bereit hat… Viel Freude an diesem schönen Tag und liebe Grüsse, Elisa

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  1. Welch schöne Geschichte und soooo ein wunderschöner Blumenstrauß – ich glaube, da wäre ich auch schwach geworden! Und deine Beschreibung des Ab- und wieder Aufstiegs samt der Re-Aktion des Mannes? Ich habe mich köstlich amüsiert!!! 🙂 Und bedanke mich dafür, dass du mich/uns hast dran teilnehmen lassen….
    Aber bitte: Demnächst keine so waghalsigen Aktionen mehr, okay? 🙂
    Hab einen sonnigen Tag und liebe Grüße
    Bea

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      1. Doppelt gemoppelt hält besser 🙂
        Deine Sonnenwünsche sind angekommen. Hier ist wunderschönes Wetter, strahlend blauer Himmel, die Vögel zwitschern und ich habe seit gefühlten Ewigkeiten endlich mal wieder ein Kleid an. Und gleich gehe ich arbeiten, worauf ich mich sehr freue! 🙂
        Bleib gesund und komm gut ins Wochenende…. herzliche Grüße Bea

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      2. Liebe Bea, das freut mich sehr, dass Du die Kinder wieder sehen kannst! Die sind bestimmt ebenso glücklich wie Du. Ja, vom Frühlingswetter werden wir auch hier in der Schweiz verwöhnt. Es soll bei uns in den nächsten Wochen ebenfalls eine Lockerung des Lockdown geben, wobei wir, als Risikogruppe, wohl am längsten Vorsichtsmassnahmen befolgen müssen. Hauptsache, wir bleiben alle gesund. Für die Wirtschaft ist eine Lockerung jedoch dringend nötig, bei Euch wie bei uns. Die Politiker beneide ich nicht um ihre schwierigen Entscheidungen.
        Hab morgen einen frohen Tag. Es ist schön, die Vögel zwitschern zu hören! Mach’s gut und liebe Grüsse, Elisa

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  2. Ich bin hier mal vorbeigekommen und werde gleich mit so einem wunderschönen Blumenstrauß begrüßt. Als ich dann die Geschichte dazu las dachte ich, hier komme ich gern öfter mal vorbei.
    Ich wünsche allen hier noch einen zauberhaften Rest-Sonntag.
    Herzlichst, das Licht

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  3. Eine erfrischende Geschichte von Dir liebe Elisa! Spontan denke ich daran zurück, wie auch ich als Kind immer zum Wochenende zumeist Wiesenblumen gesammelt habe für zuhause und diese dann in eine Vase, Sonnenblumen sogar in eine Bodenvase, gesteckt habe zur Freude meiner Mama. In Fortsetzung dessen macht mir dies auch heute noch Freude und ich komme selten von einen Spaziergang in der Natur zurück ohne irgend etwas, vielleicht auch nur mit ein paar Zweigen verbunden mit der Vorfreude, was sich daraus entwickeln wird. Gerne schaue ich neuerdings z.B. auf Flohmärkten nach alten Kannen und Gefäßen, um dann die Blumen/Zweige usw. passend darin zu plazieren. Dabei stelle ich fest, dass meine modernen Vasen gar nicht mehr so oft in Anspruch genommen werden. Nun, Hauptsache, Du bist wieder heil nach oben gekommen und hast Dein wunderschönes Frühlingssträußchen nach Hause gebracht. Wegen der Umstände dürfte es einen besonders hohen Stellenwert haben, wenn Du und DER MANN es sich anschauen. In diesem Sinne weiterhin schöne Frühlingstage zum Genießen! Dies für mich nur mit einem lachenden Auge, denn es wird ganz ganz dringend Regen gebraucht und die Trockenheit des Vorjahres setzt sich zum Schaden der Natur und Landwirtschaft in aller Härte zumindest bei uns fort. Danke auch für Deine Ablenkung von Corona! Bei uns herrscht ab gestern Maskenpflicht beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es hätte schon viel früher passieren müssen.
    Liebe Grüße Ursula

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    1. Liebe Ursula, wieder fühle ich mich sehr angesprochen von Deinen lieben Worten! Herzlichen Dank! Du hast wie ich offene Augen für die Schönheit der Natur. Gerade jetzt hat sie etwas ausgesprochen Tröstliches. Wenn nur die Trockenheit nicht wäre, gell. Im Zusammenhang mit der Natur erinnere ich mich an die Worte eines Psychiaters, den ich lange in Englisch unterrichtet hatte. Kurz nach meiner Scheidung traf ich ihn zufällig in der Stadt. Während eines gemeinsamen Kaffees fragte er: „Was ist mit Ihnen passiert? Sie sehen so befreit aus!“ Ich lachte und erzählte ihm von meiner Scheidung. „Na ja, ich finde, Sie haben eh nicht zusammengepasst.“ Als ich ihm berichtete, ich ginge an freien Nachmittagen stundenlang allein der Aare entlang spazieren, meinte er: „Das ist bestimmt der Grund, warum sie so gut klar kommen. Körperliche Betätigung in der Natur ist das Beste, was man gegen Depressionen tun kann. Sie machen das instinktiv richtig.“ A propos Masken: Wir würden sie gerne tragen, aber in der Schweiz gibt es zu wenige, obwohl sie neu nun hier hergestellt werden. Ein erster Schritt… Ganz liebe Grüsse und bleibt gesund, Elisa

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      1. Danke für Deine netten Worte liebe Elisa! Auch bei uns gibt es so gut wie keine Masken zu kaufen und viele Ehrenamtliche versuchen zu helfen mit dem Nähen dergleichen, die natürlich sehr einfach sind und nicht mit den medizinischen vergleichbar. Aber besser wie gar nichts.Offiziell ist auch das Bedecken von Mund und Nase mit Schal oder Tuch erlaubt, eben weil der Staat nicht in der Lage ist Masken in ausreichender Menge bereitzustellen. Alles ist gut, was hilft. Schweden geht ja sehr viel lockerer um mit den Einschränkungen und hat vergleichsweise auch nicht mehr Infizierte und Tote zu verzeichen. Man darf gespannt sein, wie sich alles weiter entwickelt. Wir haben unsere gebuchten Hotels in Lindau am Bodensee sowie in Ascona für Anfang Mai heute storniert. Es sollte nicht sein. Wollen wir froh sein, dass wir wie auch Ihr gesund sind und das soll so bleiben. Alles, alles Gute und bleibt weiterhin gesund und munter! Liebe Grüße Ursula

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      2. Liebe Ursula, herzlichen Dank für Deine Worte. Schade um die Ferien, wir hätten uns vielleicht treffen können! Also bleiben wir gesund, bis es wieder möglich ist! Heute ging DER MANN im Emmental in eine Apotheke, um Masken zu kaufen. Er kam mit einem hübschen Päckchen heraus, während ich in der nahen Bäckerei war. „Sie haben fast 15 Franken gekostet, dafür halten sie statt drei ganze acht Stunden, und man kann sie sogar frisch machen.“ „Fein“, antwortete ich, „wie viele sind es denn?“ „Ich weiss nicht, ich muss erst nachschauen.“ Fazit: Er hat eine einzige Maske für Medizinpersonal gekauft!! Ist doch süss, oder nicht? Liebe Grüsse, Elisa

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