Auf dem Fluss

Fähre bei Muri/Bern: Freizeit.ch

Diese Geschichte passierte vor langer Zeit, aber jedes Mal, wenn ich an der Aare spazieren gehe, kommt sie mir wieder in den Sinn, als wäre es gestern gewesen.

Mit meinem Sohn, der damals noch zur Schule ging, sass ich am schulfreien Mittwochnachmittag draussen vor dem «Fähribeizli» an der Aare. Während mein Sohn in einem Nebenbächlein «stauen» spielte, schaute ich versonnen auf den türkisfarbenen, rasch dahineilenden Fluss. Gerade eben hatte die Fähre abgelegt, vollbesetzt mit grauhaarigen Menschen – offensichtlich Pensionierten, die ihre Wanderung am andern Ufer fortsetzen wollten. Sie bewegte sich langsam von uns weg, der altgediente, routinierte Fährmann stakte mit der Stocherstange kräftig gegen die Strömung an, um das Boot dann in der Mitte des Flusses rasch volle Fahrt aufnehmen zu lassen. Während ich noch hinsah, peitschte jäh das Seil einmal rasch auf und ab und fiel Sekunden später schlaff ins Wasser. Mit Entsetzen realisierte ich, dass es gerissen war. Als die Fähre quer zur Strömung unglaublich schnell flussabwärts getrieben wurde, ertönte vom Wasser her ein panischer, vielstimmiger Schrei. Dann verschwand die Fähre mitsamt Passagieren und dem aufrecht stehenden Fährmann aus dem Blickfeld. Ich schrie ebenfalls. Die Serviertochter rannte ins Haus, um die Seepolizei zu alarmieren. Dann herrschte bedrückte Stille. Vorbei war’s mit der Beschaulichkeit an diesem sonnigen Nachmittag. Die Berner wissen’s: die ungestüm dahinfliessende Aare ist gefährlicher, als sie aussieht: heimtückische Wirbel, die grosse Schleuse mitten in der Stadt, mangelnde Ausstiegsmöglichkeiten, das Stauwehr am Stadtrand – eine ausser Kontrolle geratene Fähre kann man alles andere als auf die leichte Schulter nehmen.

Photo by Mamunur Rashid on Pexels.com

Etwas später folgten mein Sohn und ich zu Fuss der Aare flussabwärts, Richtung Berner Tierpark. Beunruhigt hielten wir nach der verunglückten Fähre Ausschau, konnten sie jedoch nirgends erspähen. Erst nach mehr als einer halben Stunde entdeckten wir sie auf einer Sandbank fast schon auf Höhe des Tierparks. Die Seepolizei war vor Ort, die Passagiere hatten die Fähre inzwischen verlassen. Gottseidank!

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Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen über das Unglück. Es war dem Fährmann mittels Stocherstange, mit viel Geschick und Mut, gelungen, das schwere Gefährt auf die Sandbank zu manövrieren. Er blieb an Bord, bis die Seepolizei alle Passagiere aus ihrer hilflosen Lage befreit hatte. Als er als Letzter ans Ufer gebracht wurde, sank er dort tot zu Boden. Der tapfere Mann hatte einen Herzschlag erlitten – doch erst, nachdem alle seine Passagiere gerettet worden waren.

Elisabeth, 4.3.2020

Photo by Ian Turnell on Pexels.com

18 Kommentare zu „Auf dem Fluss

  1. Einer für alle und alle für Einen – du liebe Güte, wie bedrückend. Er wollte alle retten und vergaß dabei, auf sich selbst Rücksicht zu nehmen..
    Für Kapitäne ist das ja bekanntlich verpflichtend, das sinkende ‚Schiff‘ als Letzter zu verlassen. In diesem Fall jedoch tut mir das für den Fährmann entsetzlich leid und ich kann verstehen, dass sich diese Geschichte bei dir ‚fest’gesetzt hat.
    Liebe Elisa, irgendwie erinnert mich das an die heutige Zeit, in der sehr viele Menschen wegen Einsatz von ‚Zivilcourage‘ vor die Hunde gehen….. nur leider ist da der Grund selten ein Herzschlag.
    Für den Fall, dass du diese Hintergedanken hattest: Danke fürs Erinnern!
    LG Bea
    P.S.: Ich habe momentan das Problem, dass mir nicht alle Kommentare immer angezeigt werden – kann es sein, dass das bei dir auch so ist? Du hast auf meinen Kommentar in deinem letzten Beitrag nämlich nicht re-agiert und das ist bei uns Zweien ja eher untypisch 🙂

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Bea, herzlichen Dank für Deine gehaltvollen Beiträge. Was den vorletzten betrifft, war ich felsenfest überzeugt davon, dass ich Dir geantwortet und mein Bedauern darüber ausgedrückt hätte, dass ich Dir den Appetit verdorben habe. Tatsächlich aber finde ich meine Antwort nirgends, also habe ich sie wahrscheinlich nicht gesendet. Das tut mir sehr leid. Ich schätze Deine Beiträge über alles und möchte sie nicht missen.
      Ja, Zivilcourage ist heute nicht mehr so gefragt, weil man sich in der Tat oft selbst in Gefahr bringt. Ich freue mich über jede Person, die mutig genug ist und hoffe, dass sie heil daraus hervorgeht. Ich bin sicher, dass dies auch immer wieder der Fall ist, weiss aber, dass es durchaus Menschen gibt, die gefühllos an einer Notsituation vorbeigehen.
      Zivilcourage ist eine empathische Fähigkeit, die ich sehr bewundere. Ich selbst bin nicht sonderlich couragiert aber bereit zu helfen, wenn es möglich ist.
      Ganz liebe Grüsse, Elisa

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      1. So etwas in der Art habe ich mir schon gedacht. Auch ich habe nämlich schon mehrmals Texte kommentiert und im Anschluss an das Senden waren sie weg! Sie fliegen sicherlich irgendwo im Universum herum und genießen die Freiheit 🙂
        Zum Thema Zivilcourage: ich selber bin gottlob erst ein einziges mal in eine brenzlige Situation herein geschlittert, das liegt aber bereits Jahre zurück. Meine Freundin und ich kamen nachts um 1:30h aus einem Club mitten in Düsseldorf und wollten zum nächsten Taxistand. Auf dem Weg dorthin bekamen wir mit, dass eine 5-köpfige Gruppe männlicher Jugendlicher laut grölend auf einen einzelnen Mann einschlugen.
        Ich rief meiner Freundin zu: „Marie, funk die Kollegen an, die sind noch in der Nähe!“, lief mitten in das Getümmel und rief „Sofort auseinander, die Streife ist bereits alarmiert!“ Ich hatte sehr großes Glück, denn die Bande hat das ‚gefressen‘ und alle sind sofort in Windeseile abgehauen. Wir haben dann den Mann gefragt, ob er Hilfe benötigt, aber er war einfach nur froh, heil aus der Situation hinaus gekommen zu sein…..
        Meine Freundin hat mich im Nachhinein gefragt, ob ich noch richtig ticke, da das Ganze ja auch ganz anders hätte ausgehen können und ich uns beide dadurch in Gefahr gebracht habe.
        Anyway, wir hatten großes Glück und ich war stolz wie Bolle!!! 🙂

        Und ja, ich würde immer wieder einschreiten, auch wenn ich inzwischen vielleicht nicht mehr selbst dazwischen gehen würde, würde ich zumindest einen Notruf absetzen…..also so wie du helfen, soweit ich es kann! 🙂
        Ganz liebe Grüße Bea

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      2. Liebe Bea, das war wirklich toll, da kannst Du mit Recht stolz sein! Aber eben, es ist eine Gratwanderung. Gottseidank haben wir heutzutage meist unser Handy dabei und können Hilfe herbeirufen. Die Gewalt ist ja nicht weniger geworden. Trag Dir Sorge oder „Häb Sorg“, wie wir in der Schweiz sagen. Ganz liebe Grüsse, Elisa

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    1. Liebe Astrid, dein erster Kommentar! Schön! Wenn ich dem mutigen Fährmann mit der Schilderung seiner letzten Lebensstunde ein Denkmal gesetzt habe, ist das gut, daran habe ich gar nicht gedacht. Herzlichen Dank für Deine Sensibilität und liebe Grüsse, Elisa

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  2. Wie gut von Dir liebe Elisa, solcher herausragender Taten zu gedenken. Der mutige Fährmann hat es von Herzen verdient.
    Liebe Grüße Ursula

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    1. Herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Ich hatte die Ballade „John Maynard“ von Theodor Fontane ganz vergessen. Danke, dass Du sie mir in Erinnerung gerufen hast. Ich war etwa 13, als wir das Gedicht in der Schule auswendig lernen mussten. Ich entsinne mich, mit wieviel Inbrunst ich es vortrug. Bei den Worten „und noch 10 Minuten bis Buffalo“ lief es mir jedes Mal kalt über den Rücken. Liebe Grüsse, Elisa

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      1. Meine Tochter hat sie gerade in der Schule gehabt und fa habe ich mich auch wieder an meine Schulzeit erinnert. So etwas geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Liebe Grüße

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