Inselgeschichten

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Mauritius im Indischen Ozean, drei Tage vor meiner Rückreise. Eben war ich vom schattigen Liegestuhl aufgestanden und freute mich auf den Lunch im offenen Restaurant. Kaum auf den Beinen, wurde mir nullkommaplötzlich speiübel und schwindlig. Ich schaffte es noch knapp in mein Zimmer. Dort hing ich trotz der tropischen Temperaturen schlotternd über dem Wasserbecken und erbrach mich so heftig, dass ich innert kürzester Zeit ganz schwach wurde. Nur mit Mühe konnte ich mich zurück aufs Bett schleppen, wo mich aber der Brechreiz alle paar Minuten wieder ins Badezimmer zurückjagte. Am ganzen Körper zitternd, schaffte ich es nicht einmal, mein Pareo-Tuch und den Badeanzug auszuziehen und mich zuzudecken. Zufällig erhaschte ich einen Blick im Spiegel. Ich erkannte mich kaum wieder. Statt des gesunden, sonnengebräunten Gesichts starrte mich ein aschfahles an. Als mich der freundliche Room Boy fand, rief er sofort den Arzt, der mir eine Spritze sowie ein Spezialgetränk verabreichte, das ich jede Viertelstunde Löffelchen weise einnehmen musste.  

Heidi Schade: Frangipani

Wahrhaft paradiesisch waren meine Ferien bisher gewesen – und jetzt das! Obwohl Alleinreisende, hatte ich im lichterfüllten, mit üppigen Anthurienbouquets geschmückten Hotel schon am ersten Abend Anschluss bei anderen Hotelgästen gefunden: da waren Plantagenbesitzer aus Simbabwe und Namibia, Geschäftsreisende aus China, Südafrikaner aus Kapstadt, Piloten und Flugbegleiterinnen der South African Airways, die auf ihrem Weg nach dem fernen Osten einen Zwischenstopp auf Mauritius einlegten, und sogar ein Flitterwochenpaar aus Italien. Es war eine bunt zusammengewürfelte, aufgeschlossene Gesellschaft, die sich während der Happy Hour um sechs Uhr abends für alles Mögliche verabredete.

Heidi Schade: Chamarel

Dadurch hatte ich immer Begleitung bei einem privaten Ausflug: In den Hauptort Port Louis, zu dem uns der Weg an Feuerbäumen in ihrer schönster Blüte und Zuckerrohrplantagen vorbei führte; in den Südwesten von Mauritius zu den vulkanischen Felsformationen; nach Chamarel zu den siebenfarbigen, sagenhaften Dünen aus Vulkanerde und den saftig-grünen Kaffee- und Teefeldern in den Bergen, bis zum berühmten Botanischen Garten Pamplemousses, wo die Seerose Victoria Amazonica mit ihren bis zu 2m grossen, flachen Pflanzenblättern der Star ist, zusammen mit den vielen uralten Bäumen und Palmen.

Die Victoria Amazonica-Seerose

Vergnüglich war auch eine Glasbodenfahrt auf dem glasklaren, türkisfarbenen Meer mit Blick auf die leuchtende «Unterwelt», sowie der Besuch einer unbewohnten Insel weit hinter dem Riff, wo der einheimische Bootsführer für uns fünf nach Austern tauchte, für deren Genuss wir vorsorglich Limetten mitgebracht hatten.  

Heidi Schade: Kugelfisch

Abends gab’s die eine oder andere Party. Wir sassen an weissgedeckten, langen Tischen am Strand, lachten, assen, tranken, liessen uns mitreissen von den temperamentvollen Sega-Tänzern, die neben lodernden Feuern über den weissen Sand wirbelten. Oft tanzten wir dann selbst bis in die frühen Morgenstunden, auf einer Terrasse über dem Meer. So herrlich und romantisch, so ausgelassen und lebensfroh! Umfangen von milder, balsamischer Nachtluft, mit fröhlicher Musik und dem Rauschen der Brandung in den Ohren – und erst noch unter dem still schimmernden Kreuz des Südens, das ich hier zum ersten Mal erblickte!

Mit einem Paar aus Durban in Südafrika, er Engländer, sie aus Mauritius, verband mich eine spontane Freundschaft. Jetzt würden sie sich gewiss Sorgen machen über mein langes Ausbleiben am Strand während der Nachmittagsstunden. Abends, als ich mich besser fühlte, ging ich zu ihnen in den Speisesaal, aber ich hatte keinen Hunger. Ich trank einen Tee und begann an einem Brötchen zu knabbern. Bald suchte ich mein Zimmer auf. Das angebissene Brötchen legte ich auf den Nachttisch, für den Fall, dass mich eine (erhoffte) Heisshungerattacke aus dem Schlaf holen würde.

Helles, in mein Zimmer strömendes Sonnenlicht weckte mich am Morgen. Als mein Blick auf den Nachttisch fiel, machte ich grosse Augen. Auf dem Brötchen wimmelten winzige, gold-braune Ameislein, bedeckten es ganz und gar, was ihm eine Art pelzverbrämtes Aussehen verlieh. Mit spitzen Fingern packte ich das Ding und trug es auf meinen Balkon. Kaum hatte ich mich wieder hingelegt, ertönte ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher.

Ich lächelte: die blauen, roten, gelben und grünen Vögel auf den Baum-Ästen vor meinem Balkon hatten mich schon an den vergangenen Tagen erfreut. Doch jetzt klang das Gezwitscher zänkisch. Ich dachte an den „kapuzentragenden Nachtvogel“, den Dodo, der leider schon im 17. Jahrhundert ausgerottet worden war. Ob er wohl ebenso tiriliert und gesungen hatte wie andere Vögel? Er lebte ausschließlich auf der Insel Mauritius, war etwa einen Meter gross und flugunfähig. Seine Zutraulichkeit führte dazu, dass er sich weder gegen Eroberer mit ihren Gewehren noch gegen mitgebrachte fremde Tierarten zu wehren verstand.

Der ausgestorbene Vogel Dodo: https://commons.wikimedia.org

Das laute Zwitschern hörte abrupt auf. Als ich nachschauen ging, war der Balkonboden wie leergefegt. Ich fand keine einzige Ameise und nicht die kleinste Brotkrume, auch die Vögel waren weg. Ohne es zu ahnen, hatte ich den gefiederten Freunden einen opulenten «Sandwich»-Plausch spendiert.

Was mich angeht, konnte ich auch an den verbleibenden Tagen kaum etwas essen und trinken, selbst auf dem fast 11stündigen Rückflug lösten Esswaren Widerwillen in mir aus. Wieder zu Hause, fühlte ich mich nicht besser. Das Weiss in meinen Augen begann sich gelb zu verfärben. Der Tropenarzt stellte denn auch eine akute Leberinfektion (Hepatitis A) fest.

Es dauerte Monate, bis mein gewohnter Appetit zurückkehrte, und noch länger, bis ich wieder Brötchen (ohne Ameisen!) essen mochte…

Dennoch ist wahr, was eine verstorbene Freundin zu sagen pflegte: «Wer je auf einer tropischen Insel war, trägt für immer eine Sehnsucht mehr in seinem Herzen!»

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Elisabeth, 29.1.2020

13 Kommentare zu „Inselgeschichten

  1. Puh, da hast du ja wahrhaft Glück im Unglück gehabt, liebe Elisa. Eine so wundervolle Reise mit langem Nachklang….
    Gut, dass du die Krankheit überstanden hast, auch wenn es sehr lange gedauert hat – hast du jetzt sicher nur noch die schönen Momente vor Augen!
    Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. 🙂 Liebe Grüße Bea

    Gefällt 2 Personen

  2. Ja, ja, wer Reisen unternimmt, kann viel erzählen! Mich erinnern Deine Beschwerden an einen Urlaubsaufenthalt in Französisch-Polynesien, wo mir auf Bora Bora ähnliche Beschwerden einige Tage das Leben schwer machten.
    Wie sich herausstellte, waren „fangfrische“ Austern serviert auf einer Austernparty der Grund meines Elends, welches neben der absoluten Appetitlosigkeit zeitweilig in einer Depression endete. Wie man uns später dazu erklärte, können Austern in der Meerestiefe Gifte aufnehmen, welche dann Nervenzellen lähmen. Es war kein Spaß und betraf letztendlich fast 40 Urlauber. Deshalb mein Fazit: Nie wieder Austern! Auch wenn sie fangfrisch sind und angeblich etwas Besonderes sein sollen. Vielleicht hast Du liebe Elisa ja auch Austern genossen?
    Nur deshalb beschreibe ich mein Erlebnis so ausführlich.Beste Grüße liebes Schreibtalent Elisa von Ursula!

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    1. Liebe Ursula, Herzlichen Dank für Deine spannende und lehrreiche Schilderung. Wir sind zwei starke Naturen, gell! Ich weiss nicht, wo und wie ich die Leberinfektion aufgelesen habe, das ist im Nachhinein meistens nicht mehr eruierbar. Zu Hause kam mir aber spontan der Strandchef in den Sinn, der mir jeden Tag frische Badetücher auf den Liegestuhl legte. Er hatte ganz gelbe Augen, und wenn er nicht neben mir hockte und mit mir plauderte, schlief er meistens auf seinem kleinen, erhöhten Holzpodest. So oder so: Ich werde keine Austern mehr essen!! Liebe Grüsse, Elisa

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  3. Ganz herrliche Urlaubseindrücke, liebe Elisa!

    Ich blogge jetzt übrigens auf
    dennallesfliesst.home.blog

    Liebe Grüße
    Marion (ehemalswechselweib)

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