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Das 10tägige Festival zu Ehren des Elefantengottes Ganesha ist in vollem Gange. Seit Stunden dringt der nächtliche Festlärm aus dem indischen Städtchen zum Palasthügel herauf und damit in unsere Ohren: dumpfes Trommeln, Musik, fröhliche Rufe, hämmernde Rhythmen. Dies und das giftig-grüne Licht über dem Doppelbett, das sich einfach nicht löschen lässt, hindern uns am Schlafen.
Durch berückend schöne Landschaften hat uns heute Nachmittag der zuverlässige Fahrer Ashok in diesen Palast gebracht, auf den wir uns seit Beginn der Reise gefreut haben. „Es gibt kein anderes Hotel auf dieser Strecke“, hat er uns informiert. „Macht doch nichts“, denke ich. „Für einmal das Leben genießen wie Maharadscha und Maharani! Ein indisches Märchen am eigenen Leib erfahren!“ Die Fürstenfamilie soll den Gästen heute Abend bei einem Konzert auf einer der Terrassen ihre Aufwartung machen.
Der Palast ist eine prachtvolle, imposante Anlage mit filigran behauenen Fassadenelementen, unzähligen Bogenfenstern, Balustraden, Zwiebeltürmchen, Säulen, hohen Zinnen. Er erstreckt sich über mehrere miteinander verbundene Gebäude, dazwischen ein großzügiger Hof voller Blumen, Büsche und Topfpflanzen. Ich bin begeistert. Wir werden in unser Zimmer geführt, das dicke Wände aufweist, wie es einem Palast gebührt. Im weitläufigen Badezimmer mit den kunstvollen, herrlich leuchtenden Blumenmosaiken an Boden und Wänden und den Stuckaturen an der Decke hängen gebrauchte Badetücher und schmutzige Bademäntel, stehen geöffnete Toilettenartikel herum, hier ist offensichtlich nicht geputzt worden. Eine Kleinigkeit, großzügig sehen wir darüber hinweg. Wir wundern uns über die Dusche, die zwei seitliche Düsen hat, wie wir sie noch nie gesehen haben. Der dunkel getäferte Wohnraum ist rechteckig und etwa 12 m lang. „Toll“, rufe ich aus. „So viel Platz nur für uns zwei!“ Die Türe lässt sich jedoch nur mit Mühe schließen, geschweige denn verriegeln. Nicht zu fassen: ein Schild warnt explizit vor „Dieben und Einbrechern“.
Im gotisch gewölbten, einem Mausoleum nicht unähnlichen Schlafzimmer, das gespenstisch von besagtem grünen Licht erhellt ist, hängt am Tüllvorhang vor dem Fenster mit den viereckigen Butzenscheiben eine Fledermaus. Neben dem Telefon im Wohnraum liegt eine Nummernliste, aber bei keiner der Nummern meldet sich jemand. DER MANN, wie immer praktisch denkend, macht sich zu Fuß auf den Weg, um einen dienstbaren Geist zu finden. Eine Fledermaus einzufangen, gehört nicht gerade zu unseren Hobbies. Er bleibt lange weg. Endlich kommt er zurück mit dem Barmann, den er in irgendeinem Zwischengeschoss aufgespürt hat. Zum Glück kann dieser nicht nur mit dem Mixbecher umgehen, sondern auch mit Fledermäusen.
Zum Abendessen sollen wir uns im Restaurant auf den Zinnen gegenüber einfinden. Es ist abenteuerlich, sich in diesem Riesenkomplex zurecht zu finden. Es geht treppauf, treppab, quer durch Geschosse, ein kurzes Stück mit einem offenen, vorsintflutlich anmutenden Lift, wieder hinunter, wieder hinauf, und überall ist’s völlig menschenleer. Die Stufen sind für mich zu hoch, ich schaffe sie nur mit knapper Not. Ach ja, eine echte Maharani würde natürlich in der Sänfte getragen! Als wir endlich auf der Dachterrasse ankommen und gerade angefangen haben, unsere Teller zu füllen, beginnt es zu gießen, als wäre heute der Tag der Sintflut hereingebrochen. Statt mit den wohlriechenden Speisen, sind die Teller im Nu mit Regenwasser gefüllt. Es hat keinen Unterstand, wo wir hin flüchten könnten. Selbst die Maharadscha-Familie hat es offenbar vorgezogen, bei diesem Regen in Deckung zu bleiben.
Wohl oder übel ziehen auch wir uns zurück. Schade. Wie herrlich müsste es an einem klaren Abend hier oben auf den Zinnen sein! Wie sehr der wundervolle indische Sternenhimmel einen in seinen Bann ziehen kann, haben wir bereits erlebt und bleibt unvergessen.
Mit dem Frühstück bei den Maharadschas ist’s nicht weit her. Es gibt bitteren Schwarztee, vertrocknetes Brot, ranzige Butter und eine Schüssel, in der ein paar spärliche Fruchtstückchen herumschwimmen. Immerhin hat’s auch ein paar Bananen auf dem einfachen Buffet. Ob das Auswirkungen des Ganesha-Festes sind? Gut möglich. Es wäre verständlich, gibt’s doch außerhalb solcher Festtage keine Ferien für die hart arbeitende, einfache Bevölkerung.
Bevor wir weiterreisen, begegne ich unten im Hof dem gutaussehenden Sohn des Maharadschas, der sich höflich vorstellt. Er fragt nach unserer Zimmernummer. „Ach“, ruft er aus, „haben Sie die uralten Fresken an den Wänden des Schlafraums bemerkt? Sie sind zwar ziemlich verblasst, weil sie mich als Kind immer dort gebadet haben. Der Wohnraum nebenan ist eine ehemalige Waffenkammer. Es gab stets unzählige Ratten, die darin herumsausten – noch immer geht die Katze durchs Loch in der Wand ein und aus.“ Iiihhh!
Während das Dorf den Blicken durch die Heckscheibe unseres Wagens entschwindet, hänge ich meinen Gedanken nach. Der etwas altertümliche, angestaubte, jedoch nach wie vor fürstliche Ort hinterlässt bei mir widersprüchliche Eindrücke. Gewiss, eine feudale Umgebung lasse ich mir von Zeit zu Zeit gerne gefallen – für ein Leben als indische Maharani würde ich mich indes kaum eignen – selbst wenn der Maharadscha attraktiver wäre als DER MANN…
Elisabeth, 11.9.2019
Wow – danke für den wunderschönen indischen Ein- und Ausblick, liebe Elisa – es war wie immer nicht nur sehr eindrucksvoll nachzulesen, sondern auch zu SEHEN, was du / ihr in Indien erlebt hast / habt! LG Bea
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Ich danke DIR, liebe Bea. Reisen ist etwas Wunderschönes, nicht wahr? Liebe Grüsse, Elisa
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Absolut! Ich freue mich auch schon sehr auf meine Reise nach Lissabon im Oktober… 😎
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du hast ja unglaubliches Glück gehabt, solche spezielle Momente erleben zu dürfen. Ihren Wert erkennt man nicht immer im Moment (Fledermäuse und so…) aber nachher bestimmt!
Liebe Grüsse
Brig
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Wie Recht Du hast, liebe Brig! Es sind wirklich die speziellen und oft auch schwierigen Momente, die einen bereichern. Alles Liebe, Elisa
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Hallo Elisa,
ja diese Gegensätze sind für uns Mitteleuropäer manchmal nicht nachvollziehbar. Übrigens haben wir auf unserer Indienrundreise auch in einem solchen Palast übernachtet und wurden vom Maharadscha persönlich bedient – im übrigen sowieso grundsätzlich nur von männlichen Personen. Für eine indische Frau ist eine solche Tätigkeit nicht akzeptabel. Auf Nachfrage erklärte uns der Maharadscha, dass er nur durch den Hotel-und Restaurantbetrieb in seinem Palast diesen finanzieren und damit erhalten könne. Über Ordnung und Sauberkeit gab es keine Klagen, da waren dann wohl doch unsichtbar Frauen am Werk. Was meinen Mann jedoch etwas störte, waren die Knochen in den Palastgerichten und vom Hauptgang bis zum Dessert war Curry im Spiel, was er so gar nicht mag. Aber da musste er durch und ich versprechen zuhause fortan Curry vermeiden.
Fledermäuse sehen wir täglich in der Dämmerung vor unserem Panoramafenster und auch auf der Terrasse vorbeifliegen. Es macht Spaß ihnen zuzusehen, wie flink, plötzlich und unvermittelt sie sich auf die Insekten als Nahrungsgrundlage stürzen. Aber im Zimmer möchte ich sie auch nicht haben.
Bis bald alles Liebe Ursula
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Liebe Ursula, vielen Dank für Deine spannenden Erlebnisse. Ja, die Maharadschas mussten sich neue Einnahmequellen verschaffen, als Indira Ghandi 1971 ihre letzten Privilegien abschaffte.
Ich verstehe Deinen Mann. Bei Curry scheiden sich die Geister. Ich mag ihn, könnte ihn jedoch nicht monatelang täglich essen. Vorletzte Woche hatte ich in Tiflis eine wunderbare Curry-Mahlzeit. Das Curry-Gericht war mit Kokosmilch und Süsskartoffeln verfeinert, was ihm den allzu starken Curry-Geschmack und die Schärfe nahm.
Weiterhin viel Freude an den Fledermäusen und ganz liebe Grüsse, Elisa
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