
In den öffentlichen Verkehrsmitteln ist es auffallend still geworden, seit fast jede und jeder Whatsapp benützt und hochkonzentriert auf dem Smartphone „herumtöggelet“. Aber es gibt sie noch, die unüberhörbaren Ausnahmen, die private Gespräche vor aller Ohren führen. Bestimmt ist euch das Wort ‚Cliffhanger’ geläufig: ein spannender Bericht oder eine Erzählung, die aufhört, bevor sie zu Ende erzählt ist – man bleibt buchstäblich mit seiner Neugierde an der Klippe hängen. Ärgerlich! Neulich rief eine junge Frau ins Mobile: „Du bist ein sooo schlechter Mensch! Ich hab’s schon immer gewusst! Ich…“ Funkstille! Hat er am Ende aufgehängt?? Und das im fesselndsten Moment! Da haben wir’s: ein typischer ‚Cliffhanger’. Ein simpler? Nein, schlimmer noch, ein doppelter, man hört beim Telefon-Gespräch immer nur die eine Seite. Dabei möchte man doch so gerne alles erfahren, und nicht nur die paar Happen, die Sprechende uns zum Frass hinwerfen. Sind wir auf dem besten Weg, zum ‚homo voyeuristicus’ zu werden?
Mir fällt auf, dass heutzutage sogar die mündliche Kommunikation mehr und mehr mit ‚Cliffhangern’ durchsetzt ist. Ich schnappe im Bus beispielsweise halbe Sätze auf, so in der Art: „Weißt Du, was meinem Bruder passiert ist? Das war furchtbar. Er ging… Oh, ist das eure Kleine? Wie heisst sie denn? Ist sie…? Ja, ja, ich weiss.“ Oder: „Der Wanderweg war völlig vereist. Es war total gefährlich. Jemand hatte… Ach, da kommt mir in den Sinn, ich habe ganz vergessen… Tschüüüss, muss hier aussteigen.“ Was, wie, wo? Was ist dem Bruder passiert, was dem Jemand auf dem vereisten Weg? Ich persönlich erzähle meine Geschichten zu Ende, meine ich. Allerdings habe ich eine andere Untugend, sozusagen einen ‚Cliffhanger’ in umgekehrter Richtung. Wenn mich etwas oder eine Person beschäftigt, platze ich mitten aus meinem Gedankengang heraus und frage DEN MANN nach seiner Meinung, ohne dass er weiss, wovon ich spreche. Auch nicht gerade toll, oder? Kennt Ihr das auch? Es ist halt schon so: Heutzutage nehmen wir uns für alles zu wenig Zeit – als ob wir die Zeit dadurch verlängern könnten. Immerhin gibt’s einen Vorteil, zumindest für den, der sich an den witzigen Satz hält: Was ich liegen lasse, erledigt die Zeit.
Was haben wir früher bloss ohne die praktischen Mobiles gemacht? Es ist schätzungsweise 21 Jahre her, seit ich mein erstes Handy vom Sohn geschenkt bekommen habe. Damals arbeitete er in einem Laden, der mobile Telefone anbot. Ein Boom sondergleichen! Man hat ihm die Dinger förmlich aus der Hand gerissen, und wenn er sein eigenes neben der Kasse liegen liess, war im Nu auch dieses weg. Durch die mediale Kommunikation sind wir freier, beweglicher, und, dies vor allem: enthemmter geworden. Soll man nun darüber lachen oder weinen?
Elisabeth, 12. Juni 2019
Ich staune, auch über mich…haha…und manchmal fürchtet es mich, weil ich weiss, dass ich nicht noch mehr mitmachen kann als jetzt und auch nicht mehr mitmachen will. Bin ich dann out?
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Ja, das ist die Frage! Es ist eine Gratwanderung zwischen Digitalisierung, deren Missbrauch und unseren Werten bzw. der Zuwendung zum anderen Menschen. Doch das greift zu kurz: Letzte Woche stand in unserer Zeitung ein Beitrag über Senioren, die zwischen Stuhl und Bank fallen, weil sie weder Handy noch PC haben. Das ist bitter. Danke für Deinen Beitrag und liebe Grüsse, Elisa
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Eine schöne und zum Nachdenken über unsere Zeit anregende Geschichte hast Du uns wieder beschert.
Danke dafür und auch dafür, dass Du in Deinen liebendwerten Geschichten immer die Sätze zu Ende bringst.
Wir hatten heute in der Mittagszeit 40 Grad im Schatten und folgemäßig gewittert es jetzt und das Durchatmen in der sauberen Luft ist wohltuend. …und ja, das Smartphone(!!!!) zeigt im Radar, wie lange es noch regnen wird.
Bis bald liebe Grüße!
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Liebe Ursula, Gut, gibt’s das Smartphone für all die wichtigen Infos! Ich konsultiere jeden Tag die Wetter-App. Mal erfolgreich, mal weniger. 40 Grad im Schatten? Das ist schlimm, wir haben doch erst Mitte Juni. Wir hatten gestern ebenfalls Gewitter, und heute war’s angenehme 21 Grad hier, so hätte ich’s gerne das ganze Jahr! Herzlichen Dank für Deinen Kommentar, der mir wie immer Freude macht. Es ist schön, dass Du mich verstehst – und dass Du Deine Sätze auch immer fertig schreibst… Liebe Grüsse, Elisa
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