Im Wald

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Kommt Ihr mit mir ins Dämmer eines Waldes? Stille geniessen? Tannenduft einatmen? Verwunschenen Pfaden folgen?

Ich liebe den Wald, zu jeder Jahreszeit: Im Frühling, wenn es fein nach Holunderblüten riecht, wenn die jungen Knospen der Buchen aufspringen, sich Sonnenstrahlen zwischen die Bäume stehlen und Myriaden lichtgrüner junger Blättchen zum Leuchten bringen; im Sommer, wenn der kühle Schatten einen wohltuend umfängt, das Harz an warmen Baumstämmen seinen würzigen Duft entfaltet, Beeren reifen und es rundum brummt und summt von Bienen und Fliegen; im Herbst, wenn die Ameisenhaufen wimmelnd hoch sind, wenn das Laub unter den Füssen raschelt, milchiges Sonnenlicht durch die Bäume fällt, die in einem wundervollen Farbrausch erglühen; im Winter, wenn leichte Pfotenabdrücke auf der jungfräulich weissen Erde das Vorbeihuschen von Waldtieren verraten, wenn die dunklen Tannäste – geschmückt mit einer diamanten glitzernden Schneepracht – in ihrer Schwere fast bis zum Boden reichen.

Schon als Kind war ich am liebsten im Wäldchen in der Nähe meines Elternhauses. Im Frühjahr bedeckte ein dichter Teppich weisser Buschwindröschen den moosigen Waldboden, aus dem etwas später winzige Büschel violetter Veilchen hervorlugten, die ich gerne für meine Mama pflückte.

Und doch: dieses und jenes Ausgeliefertsein in unangenehmer Situation hat mich das Schaudern gelehrt. Wenn ich ohne Begleitung auf menschenleeren Waldwegen unterwegs bin, fürchte ich mich stets ein wenig und bewege mich schneller als sonst.

Nun ja, ich ging trotzdem immer wieder hin, damals, in den Jahren nach meiner Scheidung. Während meiner Ehe hatte ich das Wandern lieben gelernt. Inzwischen war mein Sohn erwachsen geworden, also machte ich mich nach seinem Wegzug an den Wochenenden oft allein auf die «Wandersocken», obwohl es ungewohnt war, ohne einen anderen Menschen an meiner Seite durch Feld und Wald zu streifen.

An einem sonnigen Sonntag hatte ich wieder einmal eine abwechslungsreiche Tageswanderung vor mir. Nach etwa einer Stunde kam ein Waldstück, durch das ich in rassigem Tempo schritt. Da entdeckte ich ein paar Meter vor mir auf einer etwas versteckten Bank einen Mann. Du lieber Himmel! Was, wenn?? Er grüsste freundlich, während ich an ihm vorbei hastete. Nervös blickte ich mich ein- oder zweimal um, um mich zu vergewissern, dass er mir nicht folgte.

Aufatmend konnte ich schon bald den Wald verlassen und gelangte in eine kleine Siedlung mit Häusern auf beiden Seiten des Weges. Plötzlich war der Mann neben mir. «Ich habe bemerkt, dass Sie sich im Wald vor mir fürchteten», sagte er. «Das hat mir leidgetan. Es ist wohl nicht immer einfach, eine Frau zu sein.» Bei diesen einfühlsamen Worten hätte ich beinahe geweint. Wie Recht er hatte! Jetzt schaute ich ihn genauer an und sah in seinen Augen, dass er, wenn auch kaum viel älter als 40, ein gütiger Mensch war. Ganz selbstverständlich gingen wir miteinander weiter, wir wanderten den ganzen Tag Seite an Seite, auch durch Waldstücke, assen unterwegs in einem Landgasthof eine Kleinigkeit. Dabei führten wir anregende Gespräche, lachten fröhlich und genossen die gegenseitige Gesellschaft. Ein sorgloser Tag! Mein Begleiter auf Zeit entpuppte sich als gebildeter, liebenswürdiger Mann, der mir ein grosses Geschenk machte: Geborgenheit und Ruhe in männlicher Gesellschaft, den wiedergewonnenen Glauben in die Männer.

Seinen Namen habe ich vergessen. An seine Freundlichkeit zurückzudenken, wärmt mir indes noch heute das Herz.

Elisabeth, 27.3.2019 

11 Kommentare zu „Im Wald

  1. Liebe Elisabeth, auch ich liebe den Wald – genieße ihn meistens in Begleitung meines Hundes. Deine Geschichte ist sehr nachvollziehbar und die Begegnung wunderschön, aber vor allem voller Zuversicht und Positivem 😉
    VG, Antje

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  2. Liebe Elisabeth,
    eine wunderbare Hinwendung zum Wald, sie ermuntert zu einer Frühjahrswanderung.
    Den Glauben an das Positive nicht zu verlieren bedeutet in der heutige Zeit sehr viel und dafür hab Dank!
    Herzlichst Ursula

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  3. Herzlichen Dank, liebe Ursula. Dein Kommentar freut mich sehr. Du hast Recht, es ist schwierig, und gelingt nicht immer, den Glauben an das Positive heutzutage zu bewahren. Gäll, es bedeutet, in der Welt und bei sich selbst das Positive mehr zu gewichten als das Negative! Liebe Grüsse, Elisa

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  4. Das ist ein schönes Wald-Bild und auch eine sehr schöne Geschichte.
    Das erinnert mich an einen unserer Nachbarn, der unser ältestes Kind immer gerne in den Wald mitnahm und ihm da alles erklärte. (Er war Naturwissenschaftler.) Wir haben einen kleinen Wald bei uns in der Nähe, aber ich bin nur sehr selten dort, denn ich bin mir nicht sicher, wer der Eigentümer ist.
    Aber ein Teil unseres Gartens ist auch Wald und da ist es immer sehr schön, egal zu welcher Jahreszeit.
    liebe Grüsse aus Skandinavien von Liv.

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  5. Liebe Liv, danke für Deinen Kommentar, der mich sehr freut. Ich war noch nie in einem Wald in Skandinavien, hab’s nur in ein paar dortige Städte geschafft. Im Norden ist der Wald bestimmt noch dichter und geheimnisvoller. Alles Liebe, Elisabeth

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