Die Metzgerei

Der Garten meines Elternhauses grenzte an eine Metzgerei samt Schlachthaus, über dem permanent der penetrante Gestank faulender Knochen hing. Dieser wehte an heissen Sommertagen besonders lästig über den Zaun. Als Kind überkam mich jedesmal Ekel, so dass ich es vorzog, am anderen Ende unseres Grundstücks zu spielen.

Zur Metzgerei gehörte eine Wirtschaft, was mir ebenfalls zu schaffen machte. Ich fürchtete mich vor Betrunkenen, ebenso verabscheute ich den abgestandenen Biergeruch, der die ‚Eintracht’ umgab. Wenn ich vorbeigehen musste, beschleunigte ich den Schritt, selbst dann, wenn im Sommer ein Pferdefuhrwerk davorstand und kräftige Männer viereckige Eisblöcke zum Kühlen des Biers in den Keller hinuntertrugen, nasse Spuren von tropfendem Eis hinterlassend.

Den stämmigen Metzger, der auch Besitzer der ‚Eintracht’ war, kannte ich fast nur betrunken. Mit seinem Gesellen machte er bei der Arbeit ausgedehnte Pausen, er war selbst sein bester Gast. Auch als Metzger fand ich die beiden roh, musste ich doch öfters mitansehen, wie sie verängstigte Kälblein, Rinder und Schweine brutal aus dem Transportfahrzeug zerrten und die Tiere schlugen, wenn sie sich sperrten. Eines Tages gab es plötzlich Lärm und Aufregung. Der Metzger stolperte aus dem Schlachthaus, die Hand umklammerte ein Bolzengewehr. Vor dem Schlachten einer Kuh hatte er seinem Gesellen aufgetragen, das Tier am Horn zu halten, damit es nicht fortlaufen könne, aber in dem Moment, als der Meister abdrückte, fiel der Geselle zu Boden – die Kuh stand noch. Nun schrie der Metzger seinen ganzen Haushalt und die halbe Nachbarschaft zusammen: „Ich habe meinen Gesellen getötet!“ Man schaute erschrocken nach – und was fand man? Unter dem Schlachttisch einen Bolzen, der sein Ziel verfehlt hatte, daneben eine Kuh, die gutmütig auf den Gesellen hinunterschaute, der neben ihr lag. Nicht das Geschoss, sein Vollrausch hatte ihn zu Boden geworfen. Für Spott war gesorgt!

Der Ekel vor vergammelten Knochen ist in mir festgebrannt und lauert darauf, jederzeit, auch bei geringstem Anlass, wieder hervorzubrechen, wie das bei eindrücklichen Kindheitserinnerungen halt eben so der Fall ist. Auf einen Festtag hin haben DER MANN und ich das teure DRY AGED Beef gekauft, das wochenlang am Knochen reift und heute in allen Metzgereien der Renner ist. Wir freuten uns auf den «besonderen Genuss», aber dann… Ihr wisst, was kommt: Ich erinnerte mich.

Seither weiss ich, dass mir dieses Fleisch mit seinem «gereiften Geschmack» nie und nimmer schmecken wird. (Von wegen Nuss- und Butter-Geschmack…) Mag es noch so zart und exklusiv sein! Mag ich noch so quer in der hippen Konsumentenlandschaft stehen!

Man muss ja nicht jeden Trend mitmachen – findet Ihr nicht auch?

Elisabeth, 16.1.2019

4 Kommentare zu „Die Metzgerei

  1. Eine interessante Geschichte aus Deiner Kindheit, wie immer sehr unterhaltsam und kurzweilig. Auch ich habe Schlachtfeste in meiner Kindheit erlebt und ich werde nie vergessen, dass der Metzger, welcher das Schwein auf den Bauernhöfen schlachtete und mit Hilfe der Familienmitglieder verarbeitete, stets im Verlauf der zu verrichtenden Arbeiten 1 Flasche Wodka konsumierte. Die Bauersfrau hingegen war immer darauf bedacht aufzupassen, dass auch die Gewürze in der richtigen Menge zum Einsatz kamen. Denn geschah dies nicht, musste die etwa versalzene oder überwürzte Wurst das gesamte Jahr hindurch hingenommen werden.
    Schön, dass durch Deine Geschichte auch meine Kindheitserinnerungen wieder geweckt wurden. LG Ursula

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    1. Liebe Ursula, das ist ebenfalls eine ganz spannende Geschichte! Ja, ja, das waren noch Zeiten… Alles war früher nicht besser!
      Interessant ist, und es freut mich natürlich, dass auch bei einer Schulfreundin durch meinen Beitrag Kindheitserinnerungen wach wurden, sogar aus dem Umfeld der gleichen Metzgerei. Liebe Grüsse, Elisabeth

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