
Eine Freundin ist in der Stadt neu zugezogen. Sie wünscht sich wieder eine Beziehung, eine dauerhafte diesmal. Auf ihr Chiffre-Inserat melden sich diverse Herren. Sie wählt einen aus, der von Sehnsucht nach einem Neuanfang schreibt. «Da haben wir bereits eine grosse Gemeinsamkeit», findet sie. Ein Treffen mit ihm scheint allerdings etwas umständlich, berichtet er doch, dass er auch an den Wochenenden auf einem Gutshof arbeiten müsse.
Drei Wochen später fährt sie zur angegebenen Adresse. Mit den markanten alten Gebäuden sieht der Gutshof eher wie ein Schloss aus. Er ist idyllisch in einer Senke gelegen, mitten im Grünen, am träge dahinziehenden Fluss. Nachdem sie parkiert hat, stellt sie sich vor, dass dieser Gutshof ihm selbst gehört. Sie ist begeistert. Sie lächelt, als sie den grossen bunten Blumenstrauss vom Beifahrersitz nimmt, er scheint ein würdiges Geschenk für ihren Besuch an diesem stattlichen Ort.
Die erste Ernüchterung kommt, als sie das Tor verschlossen vorfindet. Ein mürrischer Mann lässt sie ein und durchsucht zu ihrem Erstaunen ihre Handtasche. Auch den Blumenstrauss unterzieht er einer genauen Prüfung. Was zum Kuckuck…? Obwohl sie gesagt hat, wen sie besuchen will und dass sie erwartet wird, begleitet sie ein weiterer Mann zu den Gebäuden. Erst, als er vor ihr und hinter ihr jede Türe auf- und wieder zuschliesst, wird ihr schlagartig bewusst, dass sie sich statt in einem Schloss hinter Schloss und Riegel befindet.
Doch sie ist ein mutiger Mensch, der nicht so schnell aufgibt. Im Besucherraum muss sie nicht lange warten. Kurz nach ihrem Eintreffen wird ein grosser, breitschultriger, attraktiver Mann hereingeführt. «Er hat wohl aus einer Notlage heraus eine grosse Dummheit begangen», denkt sie. «Und jeder verdient eine zweite Chance.» Der Mann setzt sich hinter der Glasscheibe ihr gegenüber. Er hat etwas sehr Anziehendes, er gefällt ihr. «Ich habe nicht gewusst, dass du im Gefängnis bist», sagt sie nach der Begrüssung. Zaghaft lächelt er und erwidert: «Du wärst wahrscheinlich nicht gekommen, wenn ich es dir vorher gesagt hätte.» «Ja, das stimmt», gibt sie zu. Es folgt eine Pause, es ist still im Raum. Sie betrachtet scheu den ernsten Mann, hält dann den Blumenstrauss hoch. «Schöne Blumen», sagt er und bedankt sich. Schliesslich fragt sie: «Was hast du denn angestellt, dass du hier sein musst?» Die Antwort haut sie um. «Ich habe meine Frau umgebracht.» Was?? Sie schiesst von ihrem Stuhl auf, der Blumenstrauss fällt zu Boden, während sie zur Tür stürzt. «Ich habe sie in unserem Schlafzimmer mit einem andern Mann erwischt», ruft er ihr zur Erklärung nach. Aber sie dreht sich nicht mehr um. Sie kann es kaum erwarten, dass ihr die Tür des Besucherraums geöffnet wird. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis man sie aus dem Gebäude ins Freie treten lässt. Wieder im Auto, kann sie geraume Zeit nicht wegfahren. Der Schreck sitzt ihr in den Knochen. Sie zittert am ganzen Leib. «Um Gotteswillen, das nicht. Nein, nein! Um Gotteswillen!» denkt sie aufgeregt.
Das Glück ist meistens nicht dort, wo wir es suchen. Und hochfliegende Träume halten der Realität selten stand.
Träumen wir trotzdem! Denn Träume können dazu beitragen, dass wir Neues ausprobieren, ungeahnte Fähigkeiten in uns entdecken, über uns selbst hinauswachsen. Ich wünsche Euch allen ein frohes, friedliches und gesundes 2019. Mögen Eure Träume in Erfüllung gehen!
Elisabeth, 1.1.2019
Komisch – noch kein Kommentar hier – dabei ist der Beitrag soooo toll geschrieben….. 🙁😊
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Danke, das ist lieb von Dir, Bea. Vielleicht ist’s schweizerische Zurückhaltung? Komplimente bekomme ich schon, aber entweder mündlich, auf WhatsApp oder über persönliche E-mails. Ist auch gut… Liebe Grüsse, Elisabeth
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