
Wie gut haben’s heutige «Singles»! Wenn sie des Alleinseins überdrüssig sind, schafft das Internet auf vielfältige Weise Abhilfe. In den Achtzigern und Neunzigern versuchten bzw. suchten wir «einsamen Herzen» unser Glück mittels Kleinanzeigen in der Lokalpresse oder in Zeitschriften. In den Jahren nach meiner Scheidung bescherte mir dies bei jedem neuen Anlauf eine Menge Herzklopfen und schlaflose Nächte, ausserdem kostete es Nerven; zum einen, weil die Wahl zwischen möglichen Kandidaten aufregend, zeitraubend und schwierig war, zum andern, weil ich bisweilen ungewollt zur Projektionsfläche von männlicher Erbitterung und gekränkter Eitelkeit wurde. Auf diesem «Brachland» tummelte sich zudem auch der eine oder andere Spanner.
An einem sonnigen Sonntagmorgen stehe ich einmal mehr auf einem fremden Bahnhof und warte auf mein «Date», einen Unternehmer aus der Region. Um diese Zeit ist nicht viel los, so dass mein Warten auffällt. Ein dicker Mann, der immer wieder in meine Nähe spaziert und mich offensichtlich von allen Seiten taxiert, fasst sich schliesslich ein Herz und fragt: «Warten Sie auf Walter?» Ein verwahrlost aussehender Jugendlicher schleicht dauernd um mich herum, starrt mich lauernd an. Wartet auch er? Oder will er Geld? Ein hinkender Mann mit schütterem Haar lächelt mich zum wiederholten Mal einladend an, d.h. jedes Mal, wenn er auf seiner Runde um den Bahnhof an mir vorbei kommt. Beim schätzungsweise 7. Mal fragt er: Sind Sie die Rosmarie? Eine ältere Frau nähert sich. «Warten Sie auch auf die Kinder aus dem Klassenlager?» Nein und nochmals nein!!! Zum Donner, wo bleibt der «50Jährige mit der Zeitung unter dem Arm»? Da endlich, nach zehn langen Minuten: Ein sympathischer, pfeifenrauchender Mann kommt geradewegs auf mich zu.
Es wird eine fröhliche, kurzweilige Wanderung über Stock und Stein, auf der wir einander viel zu erzählen haben. Keinen Moment wird’s langweilig. Später trinken wir in seinem Haus an bester Aussichtslage Kaffee und essen Kuchen. Dann fährt er mit mir in seinem Auto in meine Stadt, wo er mich in ein gutes Restaurant zum Abendessen ausführt. Ein gelungenes Treffen, ein interessanter Mann, ein vielversprechender Anfang! Da könnte etwas draus werden! Ich bin ganz glücklich. Am Ende des Abends will ich mich vor dem Haus, wo ich wohne, im Auto von ihm verabschieden. Als ich mich anschicke, ihm herzlich zu danken, ist der Mann, mit dem ich den ganzen Tag aufs angenehmste verbracht habe, urplötzlich nicht mehr wiederzuerkennen. Er packt mich brutal, drückt mich so fest an sich, dass ich fast ersticke. Grob kneift er mich an den empfindlichsten Stellen, macht mir weh. Ich bin wie vor den Kopf geschlagen, verharre starr vor Schreck. Dann jedoch steigt Empörung in mir hoch. Sie hilft mir, Bärenkräfte zu entwickeln, und schliesslich gelingt es, mich loszureissen und ins Haus zu laufen. Völlig verwirrt verbringe ich wieder einmal eine schlaflose Nacht.
Am Montagabend komme ich erst gegen elf von meiner Arbeit als Englisch-Kursleiterin nach Hause. Vor meiner Türe wartet ein riesiger Blumenstrauss auf mich. Kaum habe ich die Wohnung aufgeschlossen, klingelt das Telefon. Als ich antworte, ist es der Unternehmer. «Aha,» denke ich, «der Prachtsstrauss soll wohl eine Art Wiedergutmachung sein.» «Sind die Blumen von dir?» frage ich. «Welche Blumen?» tönt es zurück. «Warum sollte ich dir Blumen schicken?» GuteFrage… «Nein», fährt er fort, «ich rufe an, weil ich mir soeben vorgestellt habe, wie du dich ausziehst und nackt im Bett liegst.» Der Hörer ist schneller zurück auf der Gabel, als ich denken kann.
Und der Blumenstrauss? Er ist, wie ich erst jetzt auf dem reizenden Kärtchen lesen kann, von einem Engländer, den ich rein zufällig im Theater kennenlernte – neckischerweise am gleichen Tag, als mein Inserat in der Tageszeitung erschien. Er versprach damals, mich nach seiner 2wöchigen Abwesenheit von der Schweiz zu kontaktieren – und tatsächlich! Kärtchen und Blumen sind der Auftakt zu einer fröhlichen Sommer-Romanze mit einem humorvollen englischen Gentleman.
Vom pfeifenrauchenden Unternehmer mit dem schicken Haus und den zwei Gesichtern habe ich nie wieder etwas gehört. Wen kümmert’s? Aber halt! Wäre das nicht ein absolut klassischer Fall für #MeToo? Keine Zeugen – blaue Flecken längst verheilt – fast 30 Jahre her?? Puhhh!
Elisabeth, 12.12.2018
Hahahaaaa))) Ja, ebenso sehe ich dieses Me2-Getue auch – längst verjährte kuriose, ungewöhnliche, seltsame und wirklich zumeist auch körperlich und oder seelisch unangenehme Begebenheiten werden mit einmal – Jahrzehnte später – wieder hochgeholt und jetzt plötzlich als ‚das Leben nicht mehr lebenswert machende Stories‘ aufbereitet. Wem das im Jetzt helfen soll? Ich habe keine Ahnung……
Schön jedoch, dass aus deiner Blumengeschichte noch eine Art Romanze wurde und du den pfeifenrauchenden Unternehmer hoffentlich als Kollateralschaden abgehakt hast! 🙂
LikeLike
Ja, natürlich habe ich ihn abgehakt, finde aber, dass er im nachhinein ruhig für eine amüsant/trübe Geschichte herhalten soll. Den inzwischen längst gefundenen Traummann gäbe ich hingegen nicht mehr her… Vielen Dank für Deinen Kommentar, mit dem ich absolut einig bin. Liebe Grüsse, Elisa
LikeGefällt 1 Person
„…dass er im nachhinein ruhig für eine amüsant/trübe Geschichte herhalten soll“
Absolut!!!! 🙂 Liebe Grüße Bea
LikeLike
„…dass er im nachhinein ruhig für eine amüsant/trübe Geschichte herhalten soll“
Absolut!!!! 🙂 Liebe Grüße Bea
LikeLike
.. was das Leben so alles bereithält!Da kann man nur sagen: Glückwunsch zum gefundenen Traummann!
LikeLike
Ja, tatsächlich. Vielen Dank, liebe Ursula. Gerade habe ich ebenfalls an Dich gedacht und Dir eine lange Mail geschrieben. Liebe Grüsse, Elisabeth
LikeLike